Irre: Vorsitzender ist als Zeuge zur selben Sache vernommen worden - und verhandelt sie dann...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.10.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1601 Aufrufe

Manche Fehler sind echt klasse für`s Beck Blog. Ich hätte eigentlich geschworen, dass es so etwas in der Praxis gar nicht gibt, weil ja doch selbst bei wohl zu unterstellender Rechtsunkenntnis des Vorsitzenden ein gewisses "Störgefühl" hätte entstehen müssen.  Er war nämlich in derselben Sache bereits als Zeuge vernommen worden (während der hierfür unterbrochenen Hauptverhandlung), führte dann aber sein eigenes Verfahren weiter:

 

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 16. Dezember 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Jugendkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Beschwerdeführer wegen besonders schweren
Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines
früheren Urteils zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.
Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts
gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Er
beanstandet zu Recht, dass an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der
von der Ausübung seines Richteramts gemäß § 22 Nr. 5 StPO kraft Gesetzes
ausgeschlossen war.

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Beschwerdeführer war wegen der Raubtat zunächst mit zwei Tatbeteiligten vor einer
allgemeinen Strafkammer angeklagt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass er
zur Tatzeit womöglich noch Heranwachsender war, trennte die Strafkammer das
Verfahren gegen ihn ab und legte es der Jugendkammer vor, die es übernahm.

Die Hauptverhandlungen beider Spruchkörper fanden zeitgleich statt; in beiden
wurde der Geschädigte als Zeuge vernommen. In der Hauptverhandlung vor der
allgemeinen Strafkammer beantragten die Verteidiger der gesondert Verfolgten,
den Jugendkammervorsitzenden zu den Angaben des Geschädigten in der
gegen den Angeklagten geführten Hauptverhandlung zeugenschaftlich zu
vernehmen, um vermeintliche Widersprüche in den Aussagen nachzuweisen.
Nach einer kurzen Unterbrechung wurde der sogleich herbeigerufene
Jugendkammervorsitzende zu dem beantragten Beweisthema förmlich vernommen. Die Jugendkammer setzte ihre Hauptverhandlung in unveränderter
Besetzung bis zur Urteilsverkündung fort, nachdem der Angeklagte nunmehr
einem bereits zuvor gemachten Verständigungsvorschlag zugestimmt hatte.

2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Sie nötigt zur
Aufhebung des Urteils mitsamt den Feststellungen.

a) Der Jugendkammervorsitzende war nach seiner Vernehmung kraft
Gesetzes von der weiteren Ausübung seines Amtes in dem Verfahren
ausgeschlossen. Denn er hat „in der Sache“ im Sinne von § 22 Nr. 5 StPO als
Zeuge ausgesagt.

aa) Sachgleichheit setzt keine Verfahrensidentität voraus. Sie ist auch
dann gegeben, wenn ein Richter in einem anderen Verfahren zu demselben
Tatgeschehen förmlich vernommen worden ist, das er jetzt abzuurteilen hätte.
Die Vernehmung muss sich nicht auf eigene Wahrnehmungen zum Tatgeschehen beziehen. Es genügt, wenn sie Umstände thematisiert, die der Richter
auch in dem ihm vorliegenden Verfahren im Hinblick auf Schuld- und Straffrage
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewerten muss (BGH, Beschlüsse vom
22. Januar 2008 – 4 StR 507/07, StV 2008, 283; vom 22. Mai 2007
– 5 StR 530/06, NStZ 2007, 711; vom 27. September 2005 – 4 StR 413/05,
NStZ 2006, 113, 114).

bb) So liegt es hier. Die Vernehmung des Jugendkammervorsitzenden als
Zeuge zu den Angaben des Geschädigten betraf das auch in der von ihm
geleiteten Hauptverhandlung zu beurteilende Raubgeschehen. Die Aussage des
Geschädigten musste der Vorsitzende auch in seinem Verfahren bewerten.

b) Das Urteil unterliegt nach § 338 Nr. 2 StPO der Aufhebung, weil ein kraft
Gesetzes ausgeschlossener Richter daran mitgewirkt hat. Denn die
Hauptverhandlung ist auch nach der Zeugenvernehmung des Vorsitzenden unter
seiner Leitung fortgesetzt und das Urteil mit ihm verkündet worden. Der Senat
braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob er der Ansicht folgen könnte, wonach
allein das Unterzeichnen der Urteilsurkunde durch einen gemäß § 22 Nr. 5 StPO
ausgeschlossenen Richter einen Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 StPO
begründen soll (so aber BGH, Beschlüsse vom 11. November 2020
– 2 StR 241/20, NStZ 2021, 751, 752; vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19,
StV 2022, 794).

 

BGH, Beschl. v. 12.9.2023 - 5 StR 251/23

 

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen