Klassischer Fehler im Revisionsrecht: Versuch der Wiedereinsetzung wegen nicht rechtzeitiger Verfahrensrüge (bei gleichzeitiger Sachrüge)

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.08.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1815 Aufrufe

So ganz kann man den Sachverhalt nicht aus der Entscheidung (die auch auf das Rechtsbeschwerderecht in OWi-Sachen zu übertragen ist) entnehmen. Er dürfte aber etwa so gewesen sein: Der Angeklagte war mit dem Urteil unzufrieden. Er ließ seinen Verteidiger Revision einlegen. Das klappte auch. Wahrscheinlich stand auch schon "sicherheitshalber" im Einlegungsschriftsatz etwas zur Begründung. Das ist ja durchaus üblich und oftmals auch sinnvoll. Wortlaut war sicher etwa "...gerügt wird bereits jetzt die Verletzung materiellen Rechts". Damit kommt man ja schon erst einmal weiter als Verteidiger. Ein paar Verfahrensrügen wurden auch erhoben, wohl aber nicht wirklich einbringliche. Und dann wird es so gewesen sein, dass sich der Verteidiger dachte, die wirklich wichtige, aber aufwändigere Verfahrensrüge später innerhalb der Revisionsbegründungsfrist abzufassen und nachzureichen. Wie so oft kam dann aber irgendetwas dazwischen, so dass die Verfahrensrügenbegründung zu spät beim BGH ankam, jedoch dann versehen mit einem Wiedereinsetzungsantrag wegen Verteidigerverschuldens:

 

Der Wiedereinsetzungsantrag und die Revision des Angeklagten
gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 19. Dezember 2022
werden verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die
von dem gewählten Verteidiger innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet worden ist.
Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat der Pflichtverteidiger die Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist beantragt, unter anderem zur Anbringung weiterer Verfahrensrügen.

1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand zur Nachholung oder Heilung von Verfahrensrügen kommt nur
ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur
Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom
22. März 2022 – 6 StR 28/22 Rn. 2 und vom 2. Dezember 2020 – 2 StR 267/20
mwN). Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, stellt allein der Umstand, dass – wie hier – bei einem mehrfach verteidigten Angeklagten die von einem Verteidiger zulässig erhobene Revision (§ 344
Abs. 1, § 345 Abs. 1 StPO) nach Ablauf der Frist von einem weiteren Verteidiger
um neue, bisher nicht erhobene Verfahrensrügen ergänzt werden soll, keinen
solchen Ausnahmefall dar.

2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Den als solche auszulegenden Verfahrensbeschwerden, soweit sie fristgerecht
erhoben worden sind, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen der Erfolg versagt. Die auf die Sachrüge gebotene
Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. 

 

BGH, Beschl. v. 11.7.2023 - 1 StR 162/23

 

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