Mindestlohn - keine Durchgriffshaftung des GmbH-Geschäftsführers

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 24.07.2023

Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht deshalb auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für Verstöße der GmbH gegen ihre Verpflichtung aus § 20 MiLoG, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, bußgeldrechtlich verantwortlich sind. Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt – ungeachtet des § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu dem/den Geschäftsführer/n der Gesellschaft dar.

Das hat das BAG entschieden.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten dem Kläger zum Schadensersatz wegen unterbliebener Vergütungszahlung für den Monat Juni 2017 in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns (rund 1.550 Euro brutto) verpflichtet sind. Der Kläger nimmt die Beklagten als Geschäftsführer seiner vormaligen Arbeitgeberin gesamtschuldnerisch in Anspruch. Die Arbeitgeberin war in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und hatte Arbeitsentgelte teilweise monatelang verspätet ausgezahlt. Der Kläger machte deswegen im Juni 2017 ein Zurückbehaltungsrecht geltend und verweigerte die Arbeitsleistung. Die Arbeitgeberin zahlte für diesen Monat nichts, später fiel sie in die Insolvenz. Der Kläger nimmt die Beklagten als seinerzeitige Geschäftsführer der Arbeitgeberin persönlich in Anspruch. Klage, Berufung und Revision blieben erfolglos.

Das BAG lässt offen, ob dem Kläger überhaupt ein Vergütungsanspruch für Juni 2017 zusteht. Ebenso lässt das Gericht offen, ob die Beklagten sich ordnungswidrig verhalten hatten – ein Bußgeldbescheid war nicht gegen sie ergangen. Jedenfalls hafteten sie nicht für das Arbeitsentgelt persönlich.

Die Annahme, den Regelungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG komme der Charakter eines Schutzgesetzes iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH zu, würde dazu führen, dass dieser Personenkreis von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Gesellschaft selbst bei nur (leicht) fahrlässiger Verwirklichung des Bußgeldtatbestands nach § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch genommen werden könnte. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer Vielzahl von Fällen im Hinblick auf die Zahlung des Mindestlohns über die GmbH als ihren Vertragsarbeitgeber hinaus mit dem Geschäftsführer bzw. den Geschäftsführern einen weiteren bzw. weitere Schuldner hätten. Hierdurch würde das Haftungssystem des GmbHG, in dem es eine allgemeine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer der Gesellschaft nicht gibt, für den Bereich der Vergütungspflicht des Arbeitgebers – jedenfalls in Höhe des Mindestlohns – vielfach konterkariert. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der Vergütungspflicht um die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers handelt, bedarf es für die Annahme, die Bestimmungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG seien Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH, konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber – letztlich abweichend von der Haftungssystematik des GmbHG – eine über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende Schadensersatzverpflichtung der für die GmbH handelnden Organe bzw. Vertreter schaffen wollte (vgl. BGH 13. April 1994 – II ZR 16/93 – zu II 2 b der Gründe, BGHZ 125, 366).

Für einen solchen Willen des Gesetzgebers ist indes nichts ersichtlich. 

BAG, Urt. vom 30.3.2023 – 8 AZR 120/22, BeckRS 2023, 17799

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