Schonmal vor der Hauptverhandlung eine Absprache versucht: Ausführliche Mitteilung in HV nötig!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.07.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1431 Aufrufe

Es wurde schon einmal vor der Hauptverhandlung über das Verfahren gesprochen. In der Hauptverhandlung wurde das auch nicht verheimlicht. Aber leider auch nicht ausführlich genug dargestellt. Vielmehr versuchte das Gericht auf "übersandte Protokolle" zu verweisen. Die Revision gegen das verurteilende Urteil war erfolgreich:

 

 

Die Verfahrensrüge ist begründet. Der Vorsitzende der StrK hat die sich aus § 243 IV 1 StPO ergebende Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen verletzt, indem er das Ergebnis des Gesprächs vom 7.6.2022 zwar in der Hauptverhandlung als erfolglose Verständigungsbemühungen referiert, den Inhalt aber unzureichend dargestellt hat, weil er hinsichtlich der Einzelheiten des Inhalts der geführten Gespräche lediglich auf die übersandten Protokolle verwies.

 aa) Bei Gesprächen, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden und als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können, ist vom Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt in der Hauptverhandlung zu informieren (§ 243 IV StPO). Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach einer oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u. a., BVerfGE 133, 168 Rn 85 = NJW 2013, 1058 = NStZ 2013, 295 mwN). Nach der Konzeption der gesetzlichen Regelung sind die Transparenz und Dokumentation von Verständigungsgesprächen zu gewährleisten. Dies erfordert als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die StA und das RechtsmittelGer. die Mitteilung des Inhalts dieser Gespräche in der Hauptverhandlung selbst (vgl. BVerfG, aaO Rn 80 ff. und BVerfG [Kammer], Beschl. v. 4.2.2020 – 2 BvR 900/19 Rn 22, NJW 2020, 2461). Darüber hinaus dienen die Transparenz- und Dokumentationspflichten nach § 243 IV StPO auch dem Schutz des von einer Verständigung betroffenen Angekl. Deshalb gewährleistet die Mitteilung der Einzelheiten der Gesprächsinhalte über verständigungsbezogene Erörterungen durch den Vorsitzenden in der Hauptverhandlung vornehmlich auch die Information des Angekl., der an den Gesprächen regelmäßig nicht beteiligt war, um für ihn eine Wissensparität zu schaffen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 4.2.2020 – 2 BvR 900/19 Rn 35, NJW 2020, 2461 mwN). Die Unterrichtung des Angekl. (allein) durch seinen Verteidiger über den Inhalt der Verständigungsgespräche vermag die Mitteilung durch das Gericht in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht zu ersetzen. Richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen sind nicht von identischer Qualität; der StPO liegt an verschiedenen Stellen die Wertung zu Grunde, dass Authentizität, Vollständigkeit und Verständlichkeit einer Mitteilung oder Belehrung nur durch richterliches Handeln verbürgt sind (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 4.2.2020 – 2 BvR 900/19 Rn 38, NJW 2020, 2461 mwN).

 bb) Gemessen an diesen Maßstäben war die Mitteilung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung zum Inhalt der verständigungsbezogenen Erörterungen defizitär. Eine Kontrollmöglichkeit hinsichtlich des Inhalts der Gespräche war für die Öffentlichkeit schon nicht gegeben. Auch der Bf. könnte allenfalls durch seinen Verteidiger über die Einzelheiten der ergebnislos gebliebenen Verständigungsgespräche in Kenntnis gesetzt worden sein. Dies genügt jedoch nicht, um die sich aus § 243 IV StPO ergebende Verpflichtung der richterlichen Mitteilungspflicht zu erfüllen.

BGH , Beschl. v. 8.3.2023 – 1 StR 19/23, NStZ-RR 2023, 148

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen