AGG/Rechtsmissbrauch I

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 26.06.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1349 Aufrufe

Öffentliche Arbeitgeber sind nach § 165 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich fachlich ungeeignet sind. Offen lässt das Gesetz, ob auf die Einladung auch dann verzichtet werden kann, wenn der Bewerber aus persönlichen Gründen für die Stelle ungeeignet ist und der Arbeitgeber dies auch ohne Vorstellungsgespräch - beispielsweise aufgrund eines vorangegangenen Arbeitsverhältnisses - sicher beurteilen kann. Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte hierzu ist nicht einheitlich. Das BAG hatte noch keine Gelegenheit, sich zu positionieren. Auch in einem aktuell veröffentlichten Urteil reicht es nur für ein obiter dictum. Denn die Klage auf Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG) hatte schon wegen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) keinen Erfolg.

Der Kläger war bereits im Sommer 2018 für die beklagte Stadt tätig. Schon nach zwei Monaten wurde ihm wegen zahlreicher Unstimmigkeiten fristlos, hilfsweise fristgerecht gekündigt. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, die durch Vergleich erledigt wurde. Noch während des Rechtsstreits bewarb er sich erneut auf eine Stelle als "Teamassistenz". Den Termin, zu dem er zum Vorstellungsgespräch eingeladen war, sagte er wegen "Verhinderung" ab, zwei kurzfristige Ersatztermine ebenfalls, da er sich beim Joggen an der Wade verletzt habe.

Seine Klage blieb beim BAG ohne Erfolg:

Die Bekl. hat sich zur Begründung ihres Rechtsmissbrauchseinwands hauptsächlich auf Vorbringen des Kl. in einem Schriftsatz vom 4.9.2018 berufen, den der Kl. – unstreitig – in dem zwischen den Parteien vor dem ArbG Bamberg geführten und im Februar 2019 durch Prozessvergleich beendeten Kündigungsrechtsstreit (2 Ca 575/18) eingereicht hat. In diesem – von ihm selbst verfassten – Schriftsatz hat der Kl. ua – auch zur Begründung seines in dem betreffenden Rechtsstreit klageerweiternd erhobenen Anspruchs auf Zahlung einer Entschädigung – geltend gemacht, er habe während seiner Tätigkeit bei der Bekl. insbesondere durch Verhalten des Personalverantwortlichen der Bekl. K in mehrfacher Hinsicht Diskriminierungen erfahren. In diesem Zusammenhang hat der Kl. auf „Besonderheiten“ betreffend die „Person K“ verwiesen und dazu vorgetragen, er habe durch Äußerungen einer Kollegin Kenntnis von einer schweren Straftat erlangt, an der der Personalverantwortliche der Bekl. als Jugendlicher beteiligt gewesen und derentwegen dieser auch verurteilt worden sei. „Angst um Leib und Leben“ seien für ihn die Folge gewesen, die er – der Kl. – „zu seiner eigenen Sicherheit auch bei der Polizei habe anzeigen müssen“. Gedanken über mögliche körperliche Übergriffe durch den Personalverantwortlichen K hätten ihn belastet. Das – im Einzelnen näher ausgeführte – vom Kl. behauptete Gesamtverhalten der Bekl. und ihres Personalverantwortlichen habe in ein „von Anfang an gezielt beabsichtigtes Muster“ gemündet, das „im Volksmund als Mobbing“ bezeichnet werde. Seine beschriebenen „Erlebnisse“ und seine Behandlung im Arbeitsverhältnis mit der Bekl. hätten zu einer „kausalen Arbeitsunfähigkeit von 6 Wochen“ geführt. Da gegenteilige Anhaltspunkte nicht vorliegen, ist davon auszugehen, dass der Kl. in dem vor dem ArbG Bamberg geführten Kündigungsschutzprozess sein Befinden während des früheren Arbeitsverhältnisses der Parteien wahrheitsgemäß dargestellt hat.

Wenn der Kl. aber – wie er geltend gemacht hat – im Arbeitsverhältnis mit der Bekl. „Angst um Leib und Leben“ verspürt hat, seine Erkrankung auch Folge dieser Angstzustände war und er sich – jedenfalls subjektiv – systematischen Anfeindungen ausgesetzt sah, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm unter Inkaufnahme einer weiteren Schädigung seiner Gesundheit ernsthaft daran gelegen war, in das von ihm offensichtlich als äußerst belastend empfundene Arbeitsumfeld bei der Bekl., deren Personalverantwortlicher unverändert Herr K war, zurückzukehren. Das gilt unabhängig davon, wer die im früheren Arbeitsverhältnis aufgetretenen vielfältigen Konflikte der Parteien verursacht hat.

BAG, Urt. vom 19.1.2023 - 8 AZR 437/21, NZA 2023, 688

Zwei weitere Klagen desselben Klägers hatten vor dem Achten Senat ebenfalls keinen Erfolg: Urt. vom 19.1.2023 - 8 AZR 438/21, BeckRS 2023, 10386; Urt. vom 19.1.2023 - 8 AZR 439/21, BeckRS 2023, 10388

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen