Chemie im Strafrecht?!

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 23.06.2023
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht|3611 Aufrufe

Dass chemische Strukturen im Betäubungsmittelrecht eine große Rolle spielen, ist keine wirkliche Überraschung, wie man in einer Vielzahl meiner Blog-Beiträge unschwer erkennen kann. Dabei geht es aber in der Regel um die Frage, ob ein Stoff überhaupt dem BtMG oder NpSG untersteht oder nicht.

Auch die Unterscheidung, ob Amphetamin als Sulfat oder als Base vorliegt, hat im Strafrecht erhebliche Bedeutung, nämlich bei der Strafzumessung. So ist die Menge des Wirkstoffgehalts in einem gehandelten Betäubungsmittel ein strafschärfender Strafzumessungsgesichtspunkt. Daher muss zwischen Amphetaminsulfat und Amphetaminbase unterschieden werden, auch wenn beide unproblematisch dem BtMG unterstehen, denn Amphetaminsulfat enthält lediglich 73% Amphetaminbase. Übersieht der Tatrichter dies, kann eine Urteilsaufhebung die Folge sein, wie in folgendem, vom 2. Strafsenat des BGH entschiedenen Fall. Dort hat der Tatrichter den Wirkstoffgehalt des Amphetamins, immerhin über 280 kg, ausgehend von einem Gutachten in einem Parallelverfahren mit 20% Amphetaminbase angesetzt, obwohl sich das Gutachten auf Amphetaminsulfat bezog (BGH Beschl. v. 26.4.2023 – 2 StR 559/21, BeckRS 2023, 14148):

Die Strafkammer hat übersehen, dass Amphetaminsulfat lediglich 73% Amphetaminbase enthält (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 1985 – 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169, 170; Senat, Beschluss vom 26. Mai 2020 – 2 StR 64/20, Rn. 13), so dass eine Umrechnung des Amphetaminsulfats in Amphetaminbase vorzunehmen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2012 – 4 StR 392/12, NStZ-RR 2013, 81, 82). Bei der Amphetaminzubereitung beginnt die nicht geringe Menge bei einem Wirkstoffgehalt von 10 g Amphetaminbase (BGH, Urteil vom 11. April 1985 – 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169, 172). Das Landgericht hat die erforderliche Umrechnung nicht vorgenommen und dadurch möglicherweise den Schuldumfang, der auch vom Wirkstoffanteil der veräußerten Betäubungsmittel abhängt, zu hoch eingeschätzt.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Einzelfreiheitsstrafe für den Angeklagten R. im Fall B.I. der Urteilsgründe auf diesem Rechtsfehler beruht.

Die Entscheidung passt gut zu meinem letzten Blog-Beitrag, in dem ich von Amphetaminöl in Form des Amphetaminsulfats berichtet habe (s. hier).

Übrigens:

Eine ähnliche Unterscheidung ist bei Kokain vorzunehmen, denn der Anteil der Base am Hydrochlorid beträgt 89,3 Gewichtsprozent, so dass sich aus einem Kilogramm Kokainhydrochlorid rechnerisch ein Anteil von 0,89 kg Kokainbase ergibt (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl. 2022, BtMG § 29a Rn. 84a).

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