Überprüfung des Sanktionssystems für Fehler im Massenentlassungsanzeigeverfahren – das BAG wartet auf den EuGH

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 17.05.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1827 Aufrufe

Das Recht der Massenentlassung (§ 17 KSchG) erweist sich für Arbeitgeber (und ihre Berater) zunehmend als ein Minenfeld. Aus dem Zusammenspiel von europäischem Recht, konkretisiert durch den EuGH, und der deutschen Regelung in § 17 KSchG ergibt sich ein schwer durchschaubares Regelwerk. In einem jetzt beim BAG anhängigen Fall hat das höchste deutsche Arbeitsgericht nun das Verfahren ausgesetzt, um die Antworten des EuGH auf ein bereits Anfang 2022 eingeleitetes Vorabentscheidungsersuchen abzuwarten (11. 5.2023 – 6 AZR 157/22 (A) – PM 23/23). In der Sache geht es um folgende Frage:

Das in § 17 Abs. 1 KSchG für die Ermittlung der erforderlichen personellen Betriebsstärke maßgebliche Tatbestandsmerkmal „in der Regel“ enthält weder eine Stichtagsregelung noch verlangt es eine Durchschnittsbetrachtung. Es stellt vielmehr auf die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer ab, die für den gewöhnlichen Ablauf des betreffenden Betriebs kennzeichnend ist. Hierzu bedarf es eines Rückblicks auf den bisherigen Personalbestand und gegebenenfalls – sofern keine Betriebsstilllegung erfolgt – einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung. Zeiten eines außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsgangs sind nicht zu berücksichtigen. Das ist durch die Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt. Hat ein Arbeitgeber die Betriebsgröße falsch beurteilt und deshalb keine Massenentlassungsanzeige erstattet, ist jedoch derzeit unklar, ob dies – wie vom BAG in ständiger Rechtsprechung seit 2012 angenommen – weiterhin zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Das vom BAG entwickelte Sanktionssystem steht möglicherweise nicht im Einklang mit der Systematik des Massenentlassungsschutzes, wie er durch die Massenentlassungsrichtlinie (MERL) vermittelt wird, und könnte darum unverhältnismäßig sein. Der Sechste Senat des BAG hatte daher das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache – C-134/22 – (Vorabentscheidungsersuchen vom 27.1.2022 – 6 AZR 155/21 (A) ausgesetzt.

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