Arbeitnehmereigenschaft eines Vereinsmitglieds im Yoga-Ashram

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 01.05.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1596 Aufrufe

Ordensmitglieder der katholischen Kirche oder Diakonissen in evangelischen Einrichtungen sind anerkanntermaßen keine Arbeitnehmer, auch wenn sie Leistungen erbringen, die denjenigen eines Arbeitnehmers durchaus vergleichbar sind und sie für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten (z.B. BAG NJW 1990, 2082). Sie werden aufgrund ihrer mitgliedschaftlichen Bindung in einer religiösen Gemeinschaft beschäftigt. Dahinter steht das verfassungsrechtlich gewährleistete kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Allerdings gibt es Grenzfälle. So hatte BAG (22.3.1995 - 5 AZB 21/94, NZA 1995, 823) schon vor längerer Zeit entschieden, dass die Scientology Kirche (Hamburg e.V.) keine Religionsgemeinschaft (und auch keine Weltanschauungsgemeinschaft) i.S. der Art. 4, 140 GG, Art. 137 WRV ist. Ihre hauptamtlichen aktiv tätigen Mitglieder seien mithin Arbeitnehmer. Auch dürfe die Begründung vereinsrechtlicher Arbeitspflichten nicht zur Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen führen.

Nunmehr hatte das BAG (25.4.2023 – 9 AZR 253/22, PM 20/23) über die Rechtsstellung eines Mitglieds der Yoga Vidya Gemeinschaft zu entscheiden. Diese ist in Form eines gemeinnützigen Vereins organisiert. Ihr satzungsmäßiger Zweck ist auf „die Volksbildung durch die Verbreitung des Wissens, der Lehre, der Übungen und der Techniken des Yoga und verwandter Disziplinen sowie die Förderung der Religion“ gerichtet. Zur Verwirklichung seiner Zwecke betreibt der Verein Einrichtungen, in denen Kurse, Workshops, Seminare, Veranstaltungen und Vorträge zu Yoga und verwandten Disziplinen durchgeführt werden. Dort bestehen sog. Sevaka-Gemeinschaften. Sevakas sind Vereinsangehörige, die in der indischen Ashram- und Klostertradition zusammenleben und ihr Leben ganz der Übung und Verbreitung der Yoga Vidya Lehre widmen. Sie sind aufgrund ihrer Vereinsmitgliedschaft verpflichtet, nach Weisung ihrer Vorgesetzten Sevazeit zu leisten. Gegenstand der Sevadienste sind zB Tätigkeiten in Küche, Haushalt, Garten, Gebäudeunterhaltung, Werbung, Buchhaltung, Boutique etc. sowie die Durchführung von Yogaunterricht und die Leitung von Seminaren. Als Leistung zur Daseinsfürsorge stellt der Beklagte den Sevakas Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung und zahlt ein monatliches Taschengeld iHv. bis zu 390,00 Euro, bei Führungsverantwortung bis zu 180,00 Euro zusätzlich. Sevakas sind gesetzlich kranken-, arbeitslosen-, renten- und pflegeversichert und erhalten eine zusätzliche Altersversorgung.

Die Klägerin, eine Volljuristin lebte vom 1. März 2012 bis zur Beendigung ihrer Mitgliedschaft am 30. Juni 2020 als Sevaka in einem Yoga-Ashram in Bad Meinberg in Nordrhein-Westfalen und leistete dort im Rahmen ihrer Sevazeit verschiedene Arbeiten. Sie hat geltend gemacht, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, und verlangt ab dem 1. Januar 2017 auf der Grundlage der vertraglichen Regelarbeitszeit von 42 Wochenstunden gesetzlichen Mindestlohn iHv. 46.118,54 Euro brutto. Der beklagte Verein hat eingewendet, die Klägerin habe gemeinnützige Sevadienste als Mitglied einer hinduistischen Ashramgemeinschaft und nicht in einem Arbeitsverhältnis geleistet. Die Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG und das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 WRV ermöglichten es, eine geistliche Lebensgemeinschaft zu schaffen, in der die Mitglieder außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gemeinnützigen Dienst an der Gesellschaft leisteten.

Das BAG hat die Klägerin als Arbeitnehmerin eingestuft und ihr den für den streitgegenständlichen Zeitraum den gesetzlichen Mindestlohn zugesprochen. Sie sei vertraglich zu Sevadiensten und damit iSv. § 611a Abs. 1 BGB zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet gewesen. Der Beklagte sei weder Religions- noch Weltanschauungsgemeinschaft. Es fehle das erforderliche Mindestmaß an Systembildung und Weltdeutung. Der Beklagte beziehe sich in seiner Satzung ua. auf Weisheitslehren, Philosophien und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen sowie auf spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen. Aufgrund dieses weit gefassten Spektrums ist ein systemisches Gesamtgefüge religiöser bzw. weltanschaulicher Elemente und deren innerer Zusammenhang mit der Yoga Vidya Lehre nicht hinreichend erkennbar. Auch die grundgesetzlich geschützte Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) erlaube die Erbringung fremdbestimmter, weisungsgebundener Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses allenfalls dann, wenn zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen würden. Zu diesen zähle ua. eine Vergütungszusage, die den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn garantiert, auf den Kost und Logis nicht anzurechnen sind. Denn dieser bezwecke die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG).

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