Zweimal eingenickt, dann Unfall durch Einnicken: Noch kein Vorsatz im Rahmen des § 315c StGB?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.04.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1741 Aufrufe

Vorsatzverurteilungen sind im Rahmen der §§ 315c, 316 StGB eher selten. Das AG Emmendingen hatte sich nun mit einem Fall des § 315c StGB infolge einer Übermüdung zu befassen. Während die Straftat des § 315c StGB noch recht einfach für das AG feststellbar war, hatte es bei der Vorsatzannahme Schwierigkeiten, obgleich der Angeklagte vor dem Unfall (durch Einnicken) bei der Fahrt schon zweimal eingenickt war:

 

Der Angeklagte X wird wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,00 €

 verurteilt.

 Die Fahrerlaubnis wird entzogen. Der Führerschein wird eingezogen. Vor Ablauf von weiteren drei Monaten darf dem Angeklagten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden.

 Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 …

 Gründe: 

 …

 II.

 Am 23.09.2022 begann der Angeklagte X um 6:00 Uhr seine Arbeit bei der Firma R. in A, welche er um 13:00 Uhr beendete. Im Anschluss daran trat der Angeklagte mit seinem Pkw der Marke Audi, amtliches Kennzeichen […] den Heimweg nach B an. Er fühlte sich von der Arbeit erschöpft und müde. Bereits früher hatte er sich an manchen Tagen nach der Arbeit müde gefühlt, vor allem wenn ihn die Arbeit besonders gefordert hatte. Auf dem Weg nach B nickte der Angeklagte zweimal kurz ein, ohne dass es zu Fahrfehlern gekommen wäre. Er setzte seine Fahrt jeweils fort. Um 13:19 Uhr befand sich der Angeklagte hinter einer Fahrzeugkolonne auf der L […] außerhalb geschlossener Ortschaften in Richtung B auf der Gemarkung A vor der Kreuzung mit der C.-Straße. Als ein Fahrzeug in der Kolonne abbremste, um nach rechts Richtung Bahnhof D abzubiegen, fuhr der Angeklagte aufgrund eines erneuten Einnickens auf den zu diesem Zeitpunkt vor ihm mit einer Geschwindigkeit von noch 30 bis 40 km/h fahrenden Pkw der Marke Kia mit dem amtlichen Kennzeichen […] des Y auf. Nur durch Zufall wurde der Fahrer Y nicht verletzt. An seinem Fahrzeug entstand allerdings nicht unerheblicher Sachschaden, der Reparaturkosten von 6567 € verursachte. Außerdem trat eine Wertminderung bei dem Fahrzeug des Geschädigten in Höhe von 750 € ein. Der Schaden wurde im Dezember 2022 von der Haftpflichtversicherung des Angeklagten reguliert. Dieser hat selbst einen Schaden in Höhe von etwa 2500 € an seinem Fahrzeug erlitten, blieb aber ebenfalls unverletzt.

 Bei gehöriger Gewissensanspannung hätte der Angeklagte sowohl seine Fahruntüchtigkeit erkennen können und müssen als auch die Möglichkeit einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aufgrund seiner Übermüdung. Er hätte die Gefährdung auch vermeiden können.

 …

 IV.

 X hat sich mithin wie folgt strafbar gemacht:

 Er hat im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wobei er fahrlässig handelte und die Gefahr fahrlässig verursachte.

 strafbar gem. §§ 315c Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 3 Nr. 2 StGB.

 Ein Vorsatz bezüglich des Fahrens trotz Fahruntüchtigkeit war dem Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen. Dieser Nachweis ist bei Fällen der vorliegenden Art regelmäßig noch schwerer zu erbringen, als bei Trunkenheitsfahrten (König in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c, Rn. 189). Dabei berücksichtigte das Gericht bei seiner Entscheidung, dass Vorsatz insoweit auch dann gegeben ist, wenn der Täter die Fahruntüchtigkeit als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und um des erstrebten Ziels willen – hier möglicherweise, um nach einem anstrengenden Arbeitstag schnell Hause zu kommen – sich mit der Fahrunsicherheit abgefunden hat, mag sie ihm auch an sich unerwünscht gewesen sein (König a.a.O.). Ein Erfahrungssatz, dass ein übermüdeter Fahrer seine hierauf beruhende Fahrunsicherheit im Sinne vorsätzlichen Handelns bewusst in Kauf nimmt, existiert indessen nicht (Krumm in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl., § 315c Rn. 25; BayObLG DAR 1991, 367 – bei Bär). Das Bayerische Oberste Landesgericht führt dazu an der genannten Stelle aus: „Die tatsächlich eingetretene Übermüdung und der Umstand, dass der Angeklagte eingetretene Ermüdungssymptome gekannt hat, führen für sich allein nicht dazu, dass sich der schlechthin seiner Fahruntauglichkeit bewusst sei oder mit ihr rechne“. Schon für die Annahme von Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass sich der Fahrer über von ihm erkannte deutliche Vorzeichen der Übermüdung bewusst hinwegsetzt, wobei es hierzu konkreter Anhaltspunkte bedarf (Krumm a.a.O. Rn 47). Fahrlässigkeit ist hier angesichts des zweimaligen Einnickens vor dem Unfall jedenfalls anzunehmen. Das besagte zweimalige Einnicken belegt zudem, dass eine Übermüdung und nicht bloß Müdigkeit vorlag (dazu Kudlich in BeckOK StGB, Stand 01.11.2022, § 315c Rn. 36; König a.a.O. Rn. 62c).

 Dementsprechend sind bei der Frage, ob vorsätzliches Handeln vorliegt, die Persönlichkeit des Täters, seine Intelligenz und Fähigkeit zur Selbstkritik zu würdigen (König a.a.O.; BayObLG a.a.O.).

 Hier sind folgende Überlegungen in die Prüfung einzustellen. Nach seinen Angaben in der Hauptverhandlung ist der Angeklagte gleich zweimal eingenickt, so dass er in zwei Fällen klare Hinweise auf Übermüdung bekam. Aufgrund seiner schulischen und beruflichen Bildung und seiner eloquenten Ausdrucksweise ist davon auszugehen, dass er über die nötige Intelligenz und Fähigkeit zur Selbstreflexion verfügt. Allerdings muss demgegenüber gesehen werden, dass der auch sonst ohne Selbstschonungstendenzen berichtende Angeklagte nichts von Fahrfehlern bei den beiden vorigen Einnickvorgängen oder sonst auf der Fahrt berichtete. Diese hätten ihm – wie auch bei einer Trunkenheitsfahrt – unmissverständlich vor Augen geführt, dass er das Fahrzeug wegen der Übermüdung nicht mehr sicher führen konnte. BZR und FAER [die keine Eintragungen enthalten] sprechen zudem dafür, dass es sich beim Angeklagten um einen grundsätzlich verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer handelt, der der Verkehrssicherheit bei seiner Teilnahme am Straßenverkehr in der Regel die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Dies entspricht seinem zurückhaltenden und ausgeglichenen Auftreten in der Hauptverhandlung. Weiter handelte es sich um die Strecke, die der Angeklagte täglich von und zur Arbeit zurücklegte. Diese war ihm also vertraut, weshalb er aus seiner Sicht nicht mit besonderen Anforderungen an seine Fahrleistung rechnen musste. Es war hell und trocken. Die Fahrtstrecke vom Arbeitsplatz zur Wohnung beträgt nach Angaben des Angeklagten etwa 20 km und ist damit auch nicht sonderlich lang. Davon, dass er einen Termin einzuhalten hatte, deshalb in Eile war und keine Pause hätte einlegen können oder wollen, wusste der Angeklagte nichts zu berichten. Es ergaben sich auch sonst keine Anhaltspunkte in diese Richtung. Auch die Tatsache, dass der Angeklagte bereits in der Vergangenheit müde gewesen war, als er von der Arbeit heimkehrte, lässt nicht den Schluss auf einen Vorsatz zu. Dass dabei eine Übermüdung und nicht bloß eine Müdigkeit bestand, ist nicht nachgewiesen (s. o.), denn er berichtete nicht, schon früher öfters eingenickt zu sein. Schon gar nicht wurde von Fahrfehlern bei früheren Fahrten infolge Übermüdung berichtet. Nach einer Bewertung der Gesamtumstände war damit kein Vorsatz nachweisbar.

AG Emmendingen Urt. v. 1.3.2023 – 540 Js 31374/22, BeckRS 2023, 4932

 

 

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