Fahrverbotsfeindliche Verfahrensdauer: schon bei 1,5 Jahre seit Tat!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.04.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1734 Aufrufe

Irgendwann habe ich den Begriff der fahrverbotsfeindlichen Verfahrensdauer erfunden. Er beschreibt m.E. ganz gut, worum es geht: Der Regelfahrverbotstatbestand verliert im Laufe der Zeit die ihm zugedachte Erziehungswirkung, wenn also quasi "die Strafe nicht zeitnah den Täter trifft". In der OLG-Rechtsprechung geht man dabei von einer 2-Jahres-Linie seit Tat aus. Und die h.M. meint auch: Wenn die erzieherische Notwendigkeit des Fahrverbots entfällt, dann entfallen die Fahrverbotsvoraussetzungen, so dass § 4 Abs. 4 BKatV nicht mehr anwendbar ist.

Das AG Aschersleben hat das anders gemacht: Bereits 1,5 Jahre nach der Tat hat es die so genannte "fahrverbotsfeindliche Verfahrensdauer" angenommen. Aber es hat auch die Geldbuße durch Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV erhöht.

 

Für die fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung der unter II. dargestellten Tat sah der damals gültige Bußgeldkatalog eine Regelgeldbuße von 120,00 € vor. Auf Grund von § 4 Abs. 3 ist das mildere Gesetz, also der zum Zeitpunkt der Tat geltende Bußgeldkatalog, anzuwenden.

 Auf Grund der Voreintragungen wäre in der Regel gemäß § 25 Abs. 1 StVG, § 4 Abs. 2 BKatV ein Fahrverbot von einem Monat anzuordnen gewesen. Das Gericht hat jedoch von der Verhängung eines Fahrverbots ausnahmsweise abgesehen und das Bußgeld auch unter Berücksichtigung der beiden Voreintragungen angemessen auf 300 € erhöht.

 Beim Absehen vom Regelfahrverbot hat sich das Gericht von folgenden Erwägungen leiten lassen. Die Verhängung eines Fahrverbots wegen beharrlicher Pflichtverletzung erscheint in diesem Einzelfall als nicht angemessen.

 Der letzte begangene Verstoß vor dem tatgegenständlichen Geschehen wurde am 04.04.2020 begangen. Zwar ist die daraufhin ergangene Entscheidung erst am 06.03.2021 in Rechtskraft erwachsen und der Regelfall des § 4 Abs. 2 BKatV liegt vor, ein solcher Regelfall ist hier jedoch ausnahmsweise ausgeschlossen, da der lange Zeitablauf zwischen dem Verstoß von immerhin 1,5 Jahren zur heutigen Entscheidung dem vom Gesetz verfolgten Zweck der Sanktion von wiederholten Verstößen entgegenläuft. Der Betroffene ist nach dem tatgegenständlichen Vorfall nicht wieder in Erscheinung getreten. Ein Fahrverbot kann seine Warnungs- und Besinnungsfunktion – auch im Hinblick auf seinen Strafcharakter – nur dann erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt (OLG Hamm, Beschluss vom 23.07.2007, Az. 2 Ss 224/07). Einer langen Verfahrensdauer ist dabei in der Regel durch Herabsetzung des Fahrverbots Rechnung zu tragen (OLG Brandenburg (1. Strafsenat, Beschluss vom 25.02.2020, Az. 1 B 53 Ss-Owi 708/19 (405/19). In diesem Fall war zunächst lediglich ein Fahrverbot von einem Monat vorgesehen, sodass eine Herabsetzung zum Absehen vom Fahrverbot führen musste. Eine Einwirkung auf den Betroffenen in Form eines Fahrverbots war in Anbetracht der Umstände nicht mehr erforderlich. Gleichzeitig wurde das Absehen vom Fahrverbot bei der Bemessung der Höhe des Bußgeldes berücksichtigt.

AG Aschersleben Urt. v. 20.2.2023 – 62 OWi 29/22, BeckRS 2023, 3945

 

Hinweis: Die OLGe gehen davon aus, dass bei längeren Regelfahrverboten nur eine Fahrverbotsverkürzung notwendig sei, falls die 2-Jahreslinie gerissen wird.

 

Zu alledem: Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, § 5.

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