OWi-Klassiker: Entbindungsantrag übersehen/vergessen > Erfolgreiche Rechtsbeschwerde

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.01.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1665 Aufrufe

Der Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen war schon lange da, wurde aber nicht entschieden. Stattdessen kam es nach Nichterscheinen des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu einer Einspruchsverwerfung. Die Rechtsbeschwerde mit Verfahrensrüge des Verteidigers hatte Erfolg:

 

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona, Abteilung 329, vom 05.08.2022 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hamburg-Altona zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat mit Urteil vom 05.08.2022 den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für inneres vom 05.11.2021 gemäß § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG verworfen. Der ordentlich geladene Betroffene war nicht zur Hauptverhandlung am 05.08.2022 erschienen. Mit dem angegriffenen Bußgeldbescheid hatte die Behörde für Inneres dem Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 160 Euro verhängt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet.

 Am 11.07.2022 war zuvor über das besondere elektronische Anwaltspostfach ein Schriftsatz des Verteidigers beim Amtsgericht eingegangen, in dem beantragt wurde, den Betroffenen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Zur Begründung des Antrags wurde vorgetragen, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft einräume, weitere Angaben zur Sache aber nicht machen werde. Über diesen Antrag hat das Amtsgericht nicht entschieden.

 Gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 05.08.2022 richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

 Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Hamburg-Altona zurückzuverweisen.

 II.

 Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Verfahrensrüge zumindest vorläufig Erfolg.

 1. Das Rechtsmittel des Betroffenen ist als Rechtsbeschwerde auszulegen. Zwar ist zunächst mit Schriftsatz des Verteidigers vom 08.09.2022 ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt worden. Angesichts des angeordneten Fahrverbots ist aber gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Rechtsbeschwerde das statthafte Rechtsmittel. Mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 14.09.2022 hat der Betroffene die Rechtsbeschwerde begründet und dabei dann auch auf eine Rechtsbeschwerde vom 08.09.2022 Bezug genommen.

 2. Ein Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG kann nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen genügt den Formerfordernissen einer Verfahrensrüge gemäß §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Die daneben erhobene Sachrüge ist insoweit, abgesehen von der hier nicht einschlägigen Prüfung des Fehlens von Verfahronsvoraussetzungen oder des Vorliegens von Verfahrenshindernissen, somit unzulässig.

 3. Zwar hat der Betroffene keine Entschuldigungsgründe für sein Ausbleiben vorgetragen und er war auch nicht von der Verpflichtung zum Erscheinen befreit worden. Der Anspruch eines Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist aber auch verletzt und das Ausbleiben somit als entschuldigt anzusehen, wenn ein Antrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG nicht beschieden wurde und dem Antrag hätte entsprochen werden müssen (vgl. nur OLG Bamberg, Beschuss vom 23.05.2014 - 3 Ss OWi 596/14; OLG Rostock, Beschluss vom 27.04.2011 - 2 Ss (OWi) 50-11 I 63/11; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2020 - (2B) 53 Ss-OWi 755-19; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.01.2018 - 2 RB 8 Ss 839/17, BayObLG, Beschluss vom 15.04.2019 - 202 ObOWi 400/19). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Antrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich zur Kenntnis des Gerichts gelangt ist (BayObLG, a.a.O., OLG Bamberg, Beschluss vom 23.05.2017 - 3 Ss OWi 654/17).

 So verhält es sich hier. Das Amtsgericht hätte zunächst - vor einer, dann ausgeschlossenen, Verwerfung des Einspruchs - dem Entbindungsantrag nachkommen müssen. Der Antrag genügte den Anforderungen des § 73 Abs. 2 OWiG. Der Betroffene hat eingeräumt, das in Rede stehende Fahrzeug geführt zu haben und im Übrigen erklärt, keine weiteren Angaben zur Sache machen zu wollen. Da die Fahrereigenschaft eingeräumt war, war die Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht mehr erforderlich. Der Antrag war frühzeitig und eindeutig gestellt worden.

 4. Nach alledem war das Urteil aufzuheben und an das Amtsgericht Hamburg-Altona zurückzuverweisen. Eine Verweisung an ein anderes Amtsgericht oder eine andere Abteilung desselben Amtsgerichts (§ 79 Abs. 6 OWiG) ist nicht Veranlasst.

OLG Hamburg Beschl. v. 24.11.2022 – 5 RB 22/22, BeckRS 2022, 33860

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