Kammergericht: Messung durch Nachfahren - zu großer Verfolgungsabstand kann durch lange Messtrecke und 20 Prozent Toleranz kompensiert werden

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.03.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2875 Aufrufe

Das Kammergericht hat sich mit einer Messung durch Nachfahren befassen müssen. Anders als zuletzt das OLG Köln haben die Richter dort einen Pauschalabzug von 20 Prozent für ok und erforderlich angesehen. Ach so: Und der Verfolgungsabstand war etwas höher als "im Bilderbuch". Das wurde aber durch lange Verfolgungsstrecke kompensiert:

 

a) Die im Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

 Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06 -, juris). Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht (und nicht justiert) war. Wie der zumindest überwiegende Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer allerdings nicht für ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 - 3 Ws (B) 234/21 -; vom 29. November 2017 - 3 Ws (B) 212/17; vom 27. Oktober 2014 - 3 Ws (B) 467/14 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 18. Juni 2020 - 201 ObOWi 739/20 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. August 2008 - 2 Ss OWi 409/08 -, juris; vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 46. Aufl., § 3 StVO Rn. 62), so dass sich das Tatgericht in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss. Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleichbleibend und möglichst kurz sein; zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein (vgl. Zusammenstellung und Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 6. Aufl., Rn. 2115 ff., 2349 ff.). Bei einer in Dunkelheit oder bei schlechten Sichtverhältnissen durchgeführten Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten erforderlich (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 a.a.O.; vom 22. August 2017 - 3 Ws (B) 232/17 -, juris; vom 27. Oktober 2014 a.a.O.).

 Für die hier festgestellten Rahmenbedingungen gilt im Einzelnen:

 Bei Geschwindigkeiten von 90 km/h und mehr sollen die Urteilsfeststellungen belegen, dass die Messstrecke nicht kürzer als 500 Meter war (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Oktober 2021 a.a.O.; OLG Jena, Beschluss vom 10. April 2006 - 1 Ss 77/06 -, juris; OLG Düsseldorf NZV 1993, 242; NZV 1993, 80; NZV 1990, 318; OLG Hamm NJW 1975, 1848). Bei Geschwindigkeiten über 90 km/h soll der Verfolgungsabstand nicht mehr als 100 Meter betragen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 a.a.O.; vom 5. April 2019 - 3 Ws (B) 114/19 -, juris; vom 22. August 2017 a.a.O.).

 Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils gerecht.

 Das Amtsgericht führt nachvollziehbar aus, dass die verfahrensgegenständliche Messtrecke 2.300 Meter betragen hat und dass die Polizeibeamten den Abstand auf nahezu konstant 100 Meter, gegen Ende der durchgeführten Messung höchstens 125 Meter, geschätzt haben anhand von Markierungen von Aus- und Auffahrten und entsprechenden Ankündigungsbaken mit Entfernungsangaben in 100 Meter-Schritten auf dem Streckenabschnitt der Bundesautobahn BAB 113. Die gemessene Bruttogeschwindigkeit von 184 km/h ist - auch aufgrund der Abriegelung des Polizeifahrzeuges - gleichbleibend gewesen. Trotz Dunkelheit sind die Sichtverhältnisse wegen des niedrigen Verkehrsaufkommens, der Trockenheit, des Vollmondes, des Abblendlichtes des Polizeifahrzeuges, des Lichtes der entgegenkommenden Fahrzeuge und der auf der Strecke befindlichen beleuchteten Brücke klar und gut gewesen.

 Soweit der Abstand mit 125 Metern gegen Ende der Geschwindigkeitsmessung über der Vorgabe von 100 Metern lag, ist zu berücksichtigen, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Richtlinien nicht starr anzuwenden sind, und etwa eine längere Messstrecke die Fehlerquelle beim (zu großen) Abstand ausgleichen kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 und vom 27. Oktober 2014, jeweils a.a.O.). Eine derartige Kompensation ist hier vorzunehmen, da die mitgeteilte Messstrecke die Mindestanforderungen fast um ein Fünffaches übersteigt und der Abstand lediglich gegen Ende der Geschwindigkeitsmessung über den Vorgaben gelegen hat.

 Im Übrigen hat das Amtsgericht etwaigen Ungenauigkeiten durch einen großzügigen - aber notwendigen - Toleranzabzug von 20 Prozent (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2014 a.a.O.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 46. Aufl., § 3 StVO Rn. 62) Rechnung getragen.

KG Beschl. v. 26.1.2022 – 3 Ws (B) 1/22, BeckRS 2022, 1839 

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