Vergütung von ärztlichem "Hintergrunddienst"/Rufbereitschaft

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.04.2021
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2189 Aufrufe

Vor einem Monat hat der EuGH entschieden, dass Rufbereitschaft unter bestimmten Umständen Arbeitszeit iSd. Richtlinie 2003/88/EG sein kann (hier im BeckBlog). Er hat in seinen beiden Urteilen zutreffend darauf hingewiesen, dass dies nur die in der Richtlinie geregelten Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (tägliche und wöchentliche Ruhezeit, Ruhepausen, wöchentliche Höchstarbeitszeit), nicht aber Frage der Vergütung dieser Zeiten betrifft. Das Arbeitsentgelt ist nicht Gegenstand der Richtlinie, der Union steht insoweit keine Normsetzungskompetenz zu (Art. 153 Abs. 5 AEUV).

Das BAG hat daher die Vergütung eines "ärztlichen Hintergrunddienstes" durch den Oberarzt eines Universitätsklinikums allein nach nationalem Recht, hier: § 9 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL), beurteilt:

Bei dem vom Kläger geleisteten Hintergrunddienst handelt es sich um Rufbereitschaft. Ob ein vom Arbeitgeber im Anwendungsbereich des TV-Ärzte/TdL angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergütungsrechtlichen Sinn Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft ist, richtet sich ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich nach den tariflichen Definitionen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL dadurch, dass der Arbeitnehmer sich nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen kann. Maßgeblich ist also der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung. Dabei ist der Arbeitnehmer allerdings auch bei der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er darf sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit von dem Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen kann. Das ist bei dem von der Beklagten angeordneten Hintergrunddienst noch der Fall. Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, ist keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestehen nicht. Dass uU nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden muss, steht im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.

Allerdings untersagt § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Das trifft vorliegend zu. Der Kläger wird in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen und leistet zu 4 % aller Rufbereitschaftsstunden tatsächliche Arbeit. Dabei kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik fortzusetzen sind, was in mehr als einem Viertel der Rufbereitschaften vorkommt. In der Gesamtschau dieser Umstände hätte sie die vom Kläger geleisteten Hintergrunddienste daher nicht anordnen dürfen. Gleichwohl führt dies nicht zu der vom Kläger begehrten höheren Vergütung. Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil ist nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Die Tarifvertragsparteien haben damit bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen hat der Senat respektiert.

BAG, Urt. vom 25.3.2021 - 6 AZR 264/20, Zitat aus der Pressemitteilung

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