Immaterieller Schadensersatz nach DSGVO oder das "Fremdeln" deutscher Gerichte mit Art. 82 I DSGVO

von Prof. Dr. Katrin Blasek, LL.M., veröffentlicht am 19.02.2021

Eines der spannendsten Fragen des Datenschutzrechts betrifft die Auslegung von Art. 82 I DSGVO bzgl. des immateriellen Schadensersatzanspruches bei Verstoß gegen die DSGVO.

Zwar verweisen Gerichte in diesem Zusammenhang immer wieder auf den weit angelegten Schadensersatzbegriff der DSGVO (effet utile, EWG 146 S. 3) und die Rspr. des EuGH (C-407/14 = EuZW 2016, 183, 184f.), dass der geschuldete Schadensersatz eine „wirklich abschreckende Wirkung“ aufweisen muss. Gleichzeitig sind Gerichte zurückhaltend und wollen einen Schadensersatzanspruch nur bei schweren Schäden annehmen. Eine Verletzungshandlung müsse in jedem Fall auch zu einer konkreten, nicht nur unbedeutenden oder empfundenen Verletzung von Persönlichkeitsrechten der betroffenen Person geführt haben. Bagatellverletzungen seien nicht geeignet Schadensersatzansprüche zu begründen.  

(Vgl. dazu meinen früheren Beitrag: https://community.beck.de/2020/12/04/materieller-und-immaterieller-schadensersatz-von-wohnungseigentuemern-bei-datenschutzverstoessen)

Dabei soll dieser weit angelegte Schadensersatzanspruch ja auch die gewünschte Abschreckungswirkung (wie Schadensersatzansprüche generell) bringen und so auch von Rechtsverletzungen abhalten bzw. die potentiellen „Opfer“ schützen.

Nun ist es wieder passiert: (AG Goslar - 27. September 2019 - 28 C 7/19)

Ein Rechtsanwalt ging gegen eine Werbe-Email vor, die ohne seine Einwilligung an ihn versendet wurde und wollte u.a. 500 Euro Schmerzensgeld.

Das lehnte das AG Goslar unter Hinweis auf eine fehlende Erheblichkeit des Rechtsverstoßes (lediglich eine einzige Werbe-Email, die nicht zur Unzeit versandt worden sei, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes deutlich gezeigt habe, dass es sich um Werbung handele, und die ein längeres Befassen mit ihr nicht notwendig gemacht habe) und somit kein Schaden beim Kläger ersichtlich sei. Eine Vorlage an den EuGH erwog das AG Goßlar bzgl. der durchaus noch offenen Auslegung von Art. 82 I DSGVO nicht.

Und weil des AG Goßlar letztinstanzlich tätig war, zog der Kläger unter Berufung auf Art. 101 I 2 GG (Verstoß gegen Grundsatz des gesetzlichen Richters) dagegen vor und bekam vom BVerfG Recht:

„Die angegriffene Entscheidung zeigt, dass das Amtsgericht die Problematik der Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO durchaus gesehen hat. Es hat sodann aber verfassungsrechtlich relevant fehlerhaft eine eigene Auslegung des Unionsrechts vorgenommen, indem es sich für die Ablehnung des Anspruchs auf ein Merkmal fehlender Erheblichkeit gestützt hat, das so weder unmittelbar in der DSGVO angelegt ist, noch von der Literatur befürwortet oder vom Gerichtshof der Europäischen Union verwendet wird.“ (Beschluss vom 14. Januar 2021 - 1 BvR 2853/19)

https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rk20210114_1bvr285319.html

Demnächst Vorlage an den EuGH?

Das Urteil des AG Goslar ist aufgehoben, die Sache zurückverwiesen und jetzt schaun mer mal, ob es demnächst eine Vorlage an den EuGH gibt.

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10 Kommentare

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Es ist abzusehen, dass deutsche Gerichte auch im Hinblick auf Art. 82 I DSGVO, wie schon im ebenfalls europarechtlich geprägten AGG, wieder das ungemein beliebte Instrument des "Rechtsmissbrauchs" entdecken und anwenden, ganz nach dem Motto: Der europäische Gesetzgeber mag uns deutschen Gerichten vorschreiben was er will: mia san mia und folgen nicht!

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Vielleicht wäre die gleiche Klage, wenn sie jemand erhoben hätte, der nicht rechtsanwalt ist, erfolgreich gewesen.

Wenn Gerichte Entscheidungsspielraum haben, nutzen sie den Spielraum nicht selten, um zu zeigen, daß sie anderer Auffassung sind als die beteiligten Organe der Rechtspflege, und daß sie die Entscheidungsbefugnis haben.

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Die deutschen Gerichte "fremdeln" grundsätzlich immer mit europäisch geprägtem Recht und der Wirtschaftslobby samt deren ergebenen Vasallen in der Kommentar- und Zeitschriftenliteratur.

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Korrektur:

Die deutschen Gerichte "fremdeln" grundsätzlich immer mit europäisch geprägtem Recht und folgen der Wirtschaftslobby samt deren ergebenen Vasallen in der Kommentar- und Zeitschriftenliteratur.

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Mit europäischem "Recht" wie diesem kann man als vernünftiger Mensch nur fremdeln. Immateriellen SE für eine Überempfindlichkeit oder wohl eher Geldschneiderei wie hier hat nicht mehr viel mit ausgewogenem, verhältnismäßigem Recht zu tun. 

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Ein im Egebnis richtiges Urteil - leider nicht ganz richtig begründet, man hätte es auch auf Paragraph 287 ZPO stützen können.

Es bleibt weiterhin ziemlich unklar, welche Kriterien denn für die Bemessung von Schmerzensgeld im Fall des Artikel 82 DSGVO maßgeblich sein sollen.

500 € kann man normalerweise einklagen, wenn man von einem Hund gebissen wurde, und infolgedessen einen Bluterguss erlitten hat.

Ist die Übermittlung einer Werbemail mit einem Hundebiss vergleichbar?

Die Deutsche Bundesbahn wollte 2010, wenn ich mich recht entsinne, ihren gequälten Fahrgästen 500 € Schmerzensgeld dafür bezahlen, dass sie in einem 50 Grad heißen Abteil überleben mussten, weil die Klimaanlagen an einem heißen Tag ausgefallen waren.

500 € Kompensation für den armen gequälten Kollegen wären wohl zu rechtfertigen gewesen, wenn dieser infolge der Werbemail einen Wutanfall bekommen hätte, mit der Folge der Verstauchung eines Fingers aufgrund eines Faustschlags auf den Schreibtisch.

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Ein im Egebnis richtiges Urteil - leider nicht ganz richtig begründet, man hätte es auch auf Paragraph 287 ZPO stützen können.

Es bleibt weiterhin ziemlich unklar, welche Kriterien denn für die Bemessung von Schmerzensgeld im Fall des Artikel 82 DSGVO maßgeblich sein sollen.

500 € kann man normalerweise einklagen, wenn man von einem Hund gebissen wurde, und infolgedessen einen Bluterguss erlitten hat.

Ist die Übermittlung einer Werbemail mit einem Hundebiss vergleichbar?

Die Deutsche Bundesbahn wollte 2010, wenn ich mich recht entsinne, ihren gequälten Fahrgästen 500 € Schmerzensgeld dafür bezahlen, dass sie in einem 50 Grad heißen Abteil überleben mussten, weil die Klimaanlagen an einem heißen Tag ausgefallen waren.

500 € Kompensation für den armen gequälten Kollegen wären wohl zu rechtfertigen gewesen, wenn dieser infolge der Werbemail einen Wutanfall bekommen hätte, mit der Folge der Verstauchung eines Fingers aufgrund eines Faustschlags auf den Schreibtisch.

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Im Gegensatz zum Hundebiss, der idR vom Halter Fahrlässig und einmalig ermöglicht wird, sind Datenschutzverstöße oft vorsätzliche, massenweise, aufgrund "Verklagmichdoch"-Einstellung vorgenommene Taten. Gäbe es keinen Schadensersatz in erklecklicher Höhe, würde niemand den beschwerlichen Weg einer Klage auf sich nehmen - und die Taten würden weitergehen (vgl. von Lewinski, https://www.pingdigital.de/ce/zwischen-rationaler-apathie-und-rationaler-hysterie/detail.html ).

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Die deutschen Amtsgerichte sind sowieso schon stark belastet. Wenn man jetzt wegen eines minimalen Bagatelllleingriffs, der keine realen, also physikalisch messbaren Schäden verursacht hat, attraktive Summen einklagen kann, dann ist das Ergebnis eine unproduktive Klagewelle.

Die Frage, die hier entscheidend war, nämlich wo die Grenze liegt für die Annahme eines immateriellen Schadens durch einen datenschutzrechtlichen Verstoß
ist weiter offen.

Im Übrigen dürfte ein dämlicher Hundehalter, der seinen neurotischen Vierbeiner nicht unter Kontrolle hat, für die Allgemeinheit gefährlicher sein, als jemand, der Werbemails verschickt. Bisher ist jedenfalls noch niemand auf die Idee gekommen, die
Schadensersatzsumme wegen eines außer Kontrolle geratenen Aangstbeißers einfach zu verzehnfachen.

Und: es ging hier um eine einzige Maill, nicht um den Massenversand. Das ist ein kleiner Unterschied.

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Jede E-Mail, insbesondere solche unbekannten Ursprungs, können Viren, Trojaner und andere Schadstoffware enthalten, so daß also jede unerwünschte E-Mail ein unnötiges Sicherheitsrisiko darstellt, die einen zeitaufwendigen Sicherheitscheck erforderlich werden lässt.

Außerdem haben viele Werbe-E-mails indirekt beleidigenden Inhalt, indem sie suggerieren oder unterstellen, man sei bedürftig (benötige zu Beispiel einen Kredit, einen Treppenlift, eine Partnervermittlung, eine Penisverlängerung, oder Potenzmittel).

Gelegentlich wird auch suggeriert, man stehe bereits in Vertragsbeziehungen, obwohl dies in Wahrheit nicht der Fall ist.

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