BGH zu Fahren ohne Fahrerlaubnis, Urkundenfälschung, Betrug: Konkurrenzbetrachtung falsch! Im Ergebnis ist das aber egal!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.09.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|5928 Aufrufe

Revisionsgerichte haben es manchmal leicht. Sie können Urteilsfehler aufdecken und zwar in erheblichem Umfange, dann aber trotzdem das Strafmaß bestehen lassen. Das ist toll. Hier war das so beim BGH, der sich mit einem "Tankbetrüger" befassen musste, der eine echte Serie von Straftaten begangen hatte. U.a. war er mit einem PKW regelmäßig zum Tanken gefahren - natürlich ohne Führerschein - natürlich mit falschem Kennzeichen. Das LG hatte daraufhin falsche Konkurrenzbetrachtungen vorgenommen. Dem BGH war das im Ergebnis egal:

 

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 30. Oktober 2019

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, des Diebstahls in 31 Fällen, davon in
einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, des Betruges in
Tateinheit mit Urkundenfälschung und vorsätzlichem
Fahren ohne Fahrerlaubnis in elf Fällen, des Betruges in
Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis
in zwei Fällen, der Urkundenfälschung in Tateinheit mit
Fahren ohne Fahrerlaubnis und zwei Fällen des Computerbetrugs, des Computerbetrugs in zehn Fällen, der Urkundenfälschung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis in sieben Fällen, des vorsätzlichen unerlaubten
Führens einer Schusswaffe und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig ist;

b) im Ausspruch über die Anordnung einer isolierten Sperrfrist mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Diebstahls in 31 Fällen, Betruges in 13 Fällen, Computerbetrugs in zwölf Fällen, Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 39 Fällen, davon in
35 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, des vorsätzlichen unerlaubten
Führens einer Schusswaffe und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln
unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei anderen rechtskräftigen Erkenntnissen nach Auflösung einer nachträglich gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt aufrecht erhalten, einen Vorwegvollzug angeordnet,
eine Einziehungsentscheidung getroffen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu
erteilen. Seine Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch war zu ändern, weil die konkurrenzrechtliche Bewertung der Straftaten, die der Angeklagte im Zusammenhang mit der Betankung von Fahrzeugen und der Entwendung von Leergut begangen hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.

a) Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte mehrfach mit von ihm
gestohlenen Fahrzeugen Tankstellen auf, wobei er sich gegenüber dem den
Tankvorgang beobachtenden Tankstellenpersonal den Anschein eines zahlungswilligen Kunden gab. Nachdem ihm die Betankung in der irrigen Annahme,
er werde den angefallenen Kaufpreis bezahlen, gestattet worden war, verließ er
mit dem betankten Fahrzeug wie von vorn herein geplant ohne zu bezahlen das
Tankstellengelände (Fälle 6, 12, 15, 27, 37, 41, 45, 48, 53, 61, 80, 85 und 93
der Urteilsgründe). Am 18. Mai 2018 in der Zeit zwischen 7.22 Uhr und 7.28 Uhr
fuhr er mit einem entwendeten Fahrzeug nacheinander zwei Tankstellen an und
bezahlte den getankten Kraftstoff und weitere Waren jeweils mit einer entwendeten EC-Karte (Fälle 70 und 73 der Urteilsgründe). In den Fällen 12 und 15
der Urteilsgründe befand sich an dem betankten Fahrzeug bei der An- und Abfahrt das Originalkennzeichen. In den übrigen Fällen benutzte der Angeklagte
Fahrzeuge, an denen ein nicht für dieses Fahrzeug ausgegebenes amtliches
Kraftfahrzeugkennzeichen angebracht war. Auch verfügte der Angeklagte zu
keiner Zeit über eine Fahrerlaubnis. Schließlich entwendete der Angeklagte in
einem Fall von einem Reiterhof mehrere Kisten Leergut (Fall 33 der Urteilsgründe), wobei er das Gelände mit einem entwendeten Kraftfahrzeug, an dem
ein für ein anderes Fahrzeug ausgegebenes Kennzeichen angebracht war, anfuhr und wieder verließ.
Die Strafkammer hat die ohne Bezahlung erfolgten Tankvorgänge als
Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB bewertet; im Fall der Bezahlung mit einer
entwendeten EC-Karte hat sie einen Computerbetrug gemäß § 263a StGB angenommen. Hinsichtlich der Entwendung des Leerguts ist sie von einem Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB ausgegangen. In den An- und Abfahrten zu den
Tankstellen mit Originalkennzeichen hat sie jeweils ein vorsätzliches Fahren
ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG gesehen. Die An- und Abfahrten in den übrigen Fällen hat sie als konkurrenzrechtlich selbstständige Ur-
kundenfälschungen gemäß § 267 Abs. 1 3. Var. StGB in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 StVG gewertet.

b) Diese konkurrenzrechtliche Würdigung ist rechtsfehlerhaft.

aa) In den Fällen 12, 13 und 14 der Urteilsgründe sowie 15, 16 und 17
der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte jeweils nur des Betruges in Tateinheit
mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht. Bei ihrer Bewertung der mit einem Fahrzeug mit Originalkennzeichen erfolgten An- und Abfahrten als selbstständige Taten hat die Strafkammer übersehen, dass das
Dauerdelikt des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG die gesamte geplante Fahrt umfasst
und durch einen kurzen Tankaufenthalt und den dabei begangenen Betrug nicht
unterbrochen wird
(vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2016 – 4 StR 60/16 Rn. 2;
Beschluss vom 22. Juli 2009 – 5 StR 268/09, DAR 2010, 273; Beschluss vom
7. November 2003 – 4 StR 438/03 mwN). Der Tankstellenbetrug steht hierzu in
Tateinheit
(vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2016 – 4 StR 60/16 Rn. 2; Beschluss vom 22. Juli 2009 – 5 StR 268/09, DAR 2010, 273).

bb) In den Fällen 6, 7 und 8; 27, 28 und 29; 41, 42 und 43; 45, 46 und
47; 48, 49 und 50; 53, 54 und 55; 60, 61 und 62; 79, 80 und 81; 85, 86 und 87
sowie 92, 93 und 94 der Urteilsgründe liegt jeweils nur ein Betrug in Tateinheit
mit Urkundenfälschung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis vor; in
den Fällen 70, 71 und 72 sowie 73, 74 und 75 der Urteilsgründe ist der Angeklagte nur der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne
Fahrerlaubnis und Computerbetrug in zwei Fällen schuldig. Denn die mehrfache
Nutzung eines mit einem falschen amtlichen Kennzeichen versehenen Fahrzeugs stellt nur ein einheitliches Gebrauchmachen von einer unechten zusammengesetzten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB dar, sofern diese Art
der Nutzung – wovon hier auszugehen ist – dem schon bei der Fälschung – hier
der Anbringung des falschen Kennzeichens – bestehenden Gesamtvorsatz des
Täters entspricht
(vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2015 – 4 StR 164/15, DAR
2015, 702 Rn. 10 mwN). Dies hat zur Folge, dass sich der Angeklagte in den
angeführten Fällen durch die An- und Abfahrt zu und von den Tankstellen nur
eines einheitlichen Gebrauchmachens von einer unechten zusammengesetzten
Urkunde schuldig gemacht hat. Diese einheitliche Urkundenfälschung steht hier
nicht nur mit dem zugleich und ebenfalls nur einheitlich verwirklichten vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, sondern auch
‒ insoweit im Wege der natürlichen Handlungseinheit ‒ mit den dabei begangenen Betrugstaten und den beiden in Unterbrechung von ein und derselben
Fahrt ausgeführten beiden Computerbetrugstaten (Fälle 70 und 73 der Urteilsgründe) in Tateinheit (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 – 4 StR
629/16, NStZ 2018, 205 Rn. 5; Beschluss vom 9. März 2016 – 4 StR 60/16; Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 StR 528/13, NJW 2014, 871 Rn. 5 und 6
mwN).

cc) Soweit der Angeklagte im Fall 33 der Urteilsgründe Leergut entwendet und dabei sowohl bei der An- als auch bei der Abfahrt (Fälle 34 und 35) ein
gestohlenes Fahrzeug mit einem daran angebrachten falschen Kennzeichen
verwendet hat, gilt das vorstehend Ausgeführte entsprechend. Insoweit ist der
Angeklagte daher lediglich des Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenfälschung
und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig.

c) Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO
steht dem nicht entgegen. Durch die Zusammenfassung zu Tateinheiten kommen die in den Fällen 6 und 8, 13 und 14, 16 und 17, 27 und 29, 33 und 35, 37
und 39, 41 und 43, 45 und 47, 48 und 50, 53 und 55, 61 und 62, 70 und 72
bis 75, 80 und 81 sowie 85 und 87 verhängten Einzelstrafen in Wegfall, sodass
es für die in Tateinheit zueinander stehenden Delikte jeweils bei einer Einzelfreiheitsstrafe von acht bzw. sechs Monaten verbleibt.

Dass die Strafkammer jeweils von einer gewerbsmäßig begangenen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen ist, ist
nicht zu beanstanden. Dem Angeklagten ging es darum, sich die Gebrauchsvorteile zu sichern, die sich aus der wiederholten Nutzung der jeweils (auch) mit
falschen amtlichen Kennzeichen versehenen gestohlenen Fahrzeuge ergaben
und sich damit dauerhaft Aufwendungen zu ersparen. Dies reicht für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit aus (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2017 –
1 StR 72/17, NStZ-RR 2018, 50, 51 mwN).
Der Gesamtstrafenausspruch kann bestehen bleiben, denn der Senat
vermag auszuschließen, dass die Strafkammer angesichts der Vielzahl der verbleibenden Einzelstrafen und des Umstands, dass der Schuldumfang durch die
abweichende Bewertung der Konkurrenzen nicht gemindert wird, auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

 

BGH,  Beschl. v. 8.7.2020 - 4 StR 72/20

 

 

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