Mindestlohn wird vielfach unterlaufen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 12.07.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2760 Aufrufe

Seit gut vier Jahren gilt in Deutschland ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn. Doch hat er sich auch im Arbeitsleben durchgesetzt? Neuere Studien deuten darauf hin, dass einem nicht unerheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft noch immer der Mindestlohn vorenthalten wird. Schon Ende Juni hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund von 1,8 Millionen Beschäftigten gesprochen, die derzeit unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt würden. Derzeit sorgen neue Berechnungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) für Gesprächsstoff. Demzufolge seien im Jahr 2017 selbst bei einer konservativen Schätzung mindestens 1,3 Millionen Beschäftige, denen der Mindestlohn zugestanden hätte, in ihrer Haupttätigkeit unterhalb des Mindestlohns in Höhe von damals 8,84 Euro pro Stunde bezahlt worden. Hinzu kämen rund eine halbe Million Beschäftigte, die in einer Nebentätigkeit weniger als den Mindestlohn erhielten. Besonders oft werde der Mindestlohn Arbeitnehmern im Gastgewerbe, im Einzelhandel, bei persönlichen Dienstleistungen und in der Leih- und Zeitarbeit vorenthalten. Frauen würden häufiger trotz Anspruchs unterhalb des Mindestlohns bezahlt als Männer, ausländische Beschäftigte häufiger als inländische, junge Arbeitnehmer bis 24 Jahre häufiger als ältere, Beschäftigte in Ostdeutschland häufiger als in Westdeutschland und solche in Klein- und Kleinstbetrieben häufiger als in größeren Betrieben. „Der Handlungsbedarf ist enorm, denn flächendeckende und intensive Kontrollen des Zolls, der die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren soll, gibt es mangels Personal bisher praktisch nicht“, so Studienautor Carsten Schröder. Doch nicht nur die Kontrollen müssten verschärft werden – nach Ansicht der Autoren sollten auch Anreize für die Arbeitgeber gesetzt werden, den Mindestlohn einzuhalten. Denkbar wäre ihrer Ansicht nach eine „Fair Pay“-Plakette als Zertifikat für Arbeitgeber, die die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten nachvollziehbar dokumentieren.

Das Arbeitsministerium weist auf Unsicherheiten bei den Befragungsdaten hin, die das DIW selbst einräumt. So komme das Statistische Bundesamt auf deutlich weniger Fälle von Mindestlohnunterschreitungen. „Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass Mindestlohnunterschreitungen in erheblichem Umfang stattfinden“, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. „Das zeigt die Wichtigkeit von Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.“ Dafür sei jüngst eine erhebliche Aufstockung der Personalkapazitäten auf Seiten des Zolls beschlossen worden. Ziel müsse ohnehin sein, „dass eine langfristige Beschäftigung deutlich über dem Mindestlohn vergütet wird.“

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