BAG zur Rückzahlung einer tarifvertraglichen Sonderzuwendung bei Ausscheiden im Folgejahr

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 09.07.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3231 Aufrufe

Die Rückzahlung von jährlichen Sonderzuwendungen ist ein Klassiker und beschäftigt die Rechtsprechung bereits seit Jahrzehnten. Allein in der AP sind unter „§ 611 BGB Gratifikation“ derzeit 308 Urteile verzeichnet, von denen sich ein Großteil mit der Rückzahlung nach Ausscheiden des Arbeitnehmers beschäftigt. Kann es hier überhaupt noch neue Erkenntnisse geben? Eine neuere Entscheidung des BAG (Urteil vom 27. Juni 2018 - 10 AZR 290/17, PM 36/18) bringt jedenfalls eine wichtige Klarstellung.

Im zugrunde liegenden Fall ging es um eine tarifliche Bestimmung, die vorsah, dass eine bis zum 1. Dezember zu zahlende tarifliche Sonderzuwendung vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen ist, wenn er in der Zeit bis zum 31.3. des folgenden Jahres aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheidet. Der Beklagte, ein bei einem Verkehrsunternehmen angestellter Busfahrer, kündigte sein Arbeitsverhältnis zum Januar 2016 und sah sich einem Rückforderungsverlangen seiner Arbeitgeberin ausgesetzt.

Das BAG hebt zunächst hervor, dass die Rückzahlungsregelung unwirksam wäre, wenn sie als arbeitsvertragliche AGB einer Klauselkontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen wäre (ausführlich BAG 18.1.2012 - 10 AZR 612/10 - NZA 2012, 561).

Arbeitsvertraglich in ihrer Gesamtheit einbezogene Tarifverträge unterlägen hingegen keiner solchen Inhaltskontrolle, weil sie nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). Tarifverträge stünden nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften im Sinn von § 307 Abs. 3 BGB gleich. Die Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten, die sich aus der tarifvertraglichen Stichtagsregelung ergibt, verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Sie verletze insbesondere nicht Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, die die Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung zu beachten haben. Den Tarifvertragsparteien stehe dabei aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu, über den Arbeitsvertrags- und Betriebsparteien nicht in gleichem Maß verfügten. Ihnen komme eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügten sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Tarifvertragsparteien seien nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genüge, wenn es für die getroffene Regelung einen sachlich vertretbaren Grund gibt. Die streitgegenständliche tarifvertragliche Regelung greife zwar in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein. Art. 12 Abs. 1 GG schützt auch die Entscheidung eines Arbeitnehmers, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf beizubehalten oder aufzugeben. Die Einschränkung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer sei hier aber noch verhältnismäßig. Die Grenzen des gegenüber einseitig gestellten Regelungen in AGB erweiterten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien seien nicht überschritten.

Die Entscheidung stärkt zwar die Tarifautonomie. Es bleibt indes zweifelhaft, ob den Tarifvertragsparteien eine Regelung erlaubt sein kann, die bei Verwendung von AGB als unangemessene Benachteiligung eingestuft wird. Gilt also der der Grundsatz, dass erdientes Entgelt dem Arbeitnehmer nicht nachträglich genommen werden darf, nicht für die Tarifvertragsparteien? Evtl. ergibt sich ja aus den noch nicht vorliegenden Entscheidungsgründen, dass der Tarifvertrag an anderer Stelle für den Arbeitnehmer günstige Regelungen enthält, welche die Benachteiligung durch die Rückzahlungsklausel zu kompensieren geeignet sind. Insoweit müsste der Tarifvertrag dann in seiner Gesamtheit betrachtet werden.

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