BAG: Keine Absenkung der Anforderungen an die Tariffähigkeit

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 02.07.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3444 Aufrufe

Eine der umstrittensten Fragen des Tarifvertragsrechts ist seit jeher diejenige nach den Anforderungen an eine tariffähige Gewerkschaft. Das BAG vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass eine Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartnerin nur sinnvoll erfüllen kann, wenn sie eine hinreichende Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler aufweist und eine gewisse Leistungsfähigkeit der Organisation gegeben ist. Dies wird schlagwortartig auch mit dem Begriff der „sozialen Mächtigkeit“ beschrieben.

Insbesondere nach Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes sind Zweifel laut geworden, ob an diesen strengen Voraussetzungen weiterhin festgehalten werden sollte. Das BAG tritt in einer neueren Entscheidung (Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16, PM 35/18) kritischen Stimmen entgegen und verteidigt seine bisherige Linie. Insbesondere die Vorinstanz, das LAG Hamburg (Beschluss vom 4. Mai 2016 - 5 TaBV 8/15, BeckRS 2016, 69929), hatte den Standpunkt vertreten, dass mit dem Tarifeinheitsgesetz 3. Juli 2015 und dem Mindestlohngesetz vom 11. August 2014 nunmehr Regelungen zum Erhalt einer funktionierenden Tarifautonomie existierten, die eine Mächtigkeitskontrolle durch die Rechtsprechung anhand der Mitgliederzahl verfassungsrechtlich weniger erforderlich machten. Der Maßstab für diese Prüfung sei deshalb nicht unerheblich abzusenken. Dabei geht es um ein u.a. von den Gewerkschaften IG Metall, ver.di und NGG eingeleiteten Beschlussverfahren, in dem diese die Feststellung begehren, dass die DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. nicht tariffähig ist. Die DHV ist eine im Christlichen Gewerkschaftsverbund (CGB) organisierte Arbeitnehmervereinigung. Über ihre Tariffähigkeit ist in der Vergangenheit bereits mehrfach rechtskräftig (positiv) entschieden worden. Angesichts mehrfacher späterer Satzungsänderungen stand die Rechtskraft dieser Beschlüsse einer erneuten Entscheidung nicht entgegen. Zur Mitgliederzahl gibt es widerstreitende Angaben. Während die DHV ihren Mitgliederbestand mit rund 75.000 angibt, gehen die DGB-Gewerkschaften von höchstens 10.000 DHV-Mitgliedern aus.

In der Sache widerspricht das BAG dem LAG Hamburg: Das LAG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Anforderungen an die Durchsetzungs- und Leistungsfähigkeit der DHV im Hinblick auf das Mindestlohn- und das Tarifeinheitsgesetz abgesenkt seien. Die DHV könne ihre soziale Mächtigkeit nicht auf ihre langjährige Teilnahme am Tarifgeschehen stützen. Sie habe Tarifverträge teilweise außerhalb ihres Organisationsbereichs und zudem in wechselnden Zuständigkeiten geschlossen. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen könne der Senat über die Tariffähigkeit der DHV nicht abschließend befinden. Die Sache sei daher zur weiteren Sachaufklärung - vor allem über die Mitgliederzahl der DHV und darauf bezogener Organisationsgrade in den beanspruchten Zuständigkeitsbereichen - an das LAG zurückzuverweisen.

 

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