Zweifel an Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 15.05.2018
Verzugszinsen vs. Nachzahlungszinsen (Grafik: C. Koss, Quelle: BuBa)

Gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 233a AO sind Steuernachforderungen mit einem halben Prozent pro Monat zu verzinsen. Das macht 6,0% p.a. Zum Vergleich: der Referenzzinssatz EURIBOR beträgt seit 11. Mai 2018 - 0,837%.

Im Rahmen der Aussetzung der Vollziehung bejahte der IX. Senat des BFH schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Höhe der Zinsen seit dem Jahr 2015. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe.

Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bestehe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht. Auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i. S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.

Als entscheidungserheblich sah der Bundesfinanzhof, dass dem Gesetzgeber das niedrige Zinsniveau bewusst sei. In anderen Rechtsbereichen, beispielsweise im Handelsgesetzbuch habe er ja auch geändert.

Eine Lösung liegt nach auf Auffassung des Verfassers darin, die Verzinsung von Steuernachforderungen an einen Referenzzinssatz plus einen Aufschlag zu koppeln. Im Zivilrecht geht es doch auch (siehe Grafik).

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15 Kommentare

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Der BFH macht in einem Punkt seiner Begründung einen Fehler: er meint, die auf moderne Datenverarbeitungstechnik gestützte Automation in der Steuerverwaltung würde es ermöglichen, den Zins variabel zu gestalten. Nur muss das alles erst einmal programmiert werden. Und die staatlichen Programmierer werden ohnehin mit vielen Rechtsänderungen konfrontiert (dieses Jahr hat sich der nationale Gesetzgeber zurückgehalten, aber das wird er noch aufholen). Und im Falle eines Einspruchs gegen die Zinsfestsetzung muss dem Steuerpflichtigen der Zinsanspruch auf Euro und Cent vorgerechnet werden. Ein Hinweis darauf, dass die Berechnung vom Computer kommt und deshalb richtig ist, reicht dann nicht (und wäre wohl auch zu optimistisch). Viel Spaß beim Abfassen und Lesen der Einspruchsentscheidungen bei variablen Zinsen. Ich gehe allerdings davon aus, dass den Einsprüchen dann eher abgeholfen wird, weil die begründete Zurückweisung eines solchen Einspruchs kaum noch leistbar wäre.

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Nur muss das alles erst einmal programmiert werden

Nichts leichter als das! Wenn hunderttausend Anwälte jedes halbe Jahr den neuen Basiszinssatz in ihre Forderungsberechnungsprogramme einpflegen können, wird der Finanzverwaltung und ihren Programmiereren das in Gottes Namen doch ein einziges Mal auch nicht unmöglich sein. Alles Ausreden!

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Im Grundsatz gebe ich dem Gast Recht.

Im Detail hat es die Finanzverwaltung aber schwerer. Denn das komplizierte deutsche Steuerrecht macht selbst die Zinsberechnung zu einer Gauß'schen Aufgabe. Da wird die Bemessungsgrundlage abgerundet, teilweise aber nicht auf volle Euro-Beträge, sondern auf ganz andere Vorkomma-Beträge. Teilweise wird dann wieder abgerundet. Dann werden nur volle Monate verzinst und der Zinslauf beginnt nicht am Tag nach Fälligkeit, sondern erst Monate später. Teilweise werden Forderungen (z.B. auf Kirchensteuer oder steuerliche Nebenleistungen) nicht verzinst.

Nachdem es dem Fiskus aber offensichtlich gelingt, den progressiven deutschen Einkommensteuertarif in § 32a Abs. 1 Satz 1 ff. EStG mit gleich drei Variablen (x, y, z) und Abrundung auf volle Euro fehlerfrei zu berechnen, sollte die Zinsberechnung machbar sein.

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Im Detail hat es die Finanzverwaltung aber schwerer. Denn das komplizierte deutsche Steuerrecht macht selbst die Zinsberechnung zu einer Gauß'schen Aufgabe. Da wird die Bemessungsgrundlage abgerundet, teilweise aber nicht auf volle Euro-Beträge, sondern auf ganz andere Vorkomma-Beträge. Teilweise wird dann wieder abgerundet. Dann werden nur volle Monate verzinst und der Zinslauf beginnt nicht am Tag nach Fälligkeit, sondern erst Monate später. Teilweise werden Forderungen (z.B. auf Kirchensteuer oder steuerliche Nebenleistungen) nicht verzinst.

Mit der Höhe des Zinssatzes und dessen relativ einfacher Abänderbarkeit in der Software hat das aber alles nichts zu tun.

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Mehr als 100 Millionen Girokonten gibt es in Deutschland (Quelle: Deutscher Bankenverband unter Verwendung von Zahlen der Deutschen Bundesbank), wo jeden Tag Salden exakt abgerechnet werden müssen. Auch heute rechnet die Finanzverwaltung die Zinsen nicht mehr manuell ab. Zwar ist der Verfasser nur aktiver Nutzer von Tabellenkalkulationsprogrammen. Aber er kann sich nicht vorstellen, dass es für einen nur etwas versierteren EDV-Programmierer ein Problem darstellt, zusätzlich zu den diversen Abrundungen auf volle Beträge, dem Zinslauf nach 15 Monaten/nach 23 Monaten und einem fixen Zinssatz nicht auch noch einen aktuelleren Zinssatz einzupflegen?

Vorschlag für die Übergangsperiode: Anstatt pauschal 0,5% p. M. auf Alles außer Kirchensteuer: 0,000xx% p.M. Über das x mag man streiten, aber die Deutsche Bundesbank hat ihre Fachkompetenz bei den Abzinsungssätzen für die Rückstellungen unter Beweis gestellt.

P.S. Das EDV-technische Hauptproblem sieht der Verfasser auch nicht bei den Finanzbehörden des Bundes und der Länder, sondern bei den Kommunen. Hier erlebt er bei jedem Gewerbesteuerbescheid eine bunte Vielfalt von EDV-Programmen, Kompetenzen und Rechtsauffassungen.
 

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Wenn ich mal ein bisschen klugscheißen darf, möchte ich anmerken, dass mir die Legende der Grafik missfällt. Durch die Aufteilung in "Verbraucher" und "Übrige" wird suggeriert, dass Absatz 2 die Regel wäre und Absatz 1 eine Ausnahme, die nur für Verbraucher gilt. Dabei ist die Verbrauchereigenschaft gar keine Voraussetzung für eine Verzinsung nach Absatz 1: Auch zwischen zwei Unternehmern werden Forderungen nach Absatz 1 verzinst, solange sie nicht Entgeltforderungen sind.

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Spannende Entscheidung, die für mich folgende Frage aufwirft:

Wenn die Regelung verfassungswidrig ist, muss dann jemand, der seine Steuern nicht zahlt, dafür keine Zinsen berappen? Wenn dem so ist, wäre ja jeder klug beraten, seine Steuern erst auf den letzten Drücker vor der Zwangsvollstreckung zu zahlen. Das wäre u. U. ein ziemliches Debakel. Dieses Chaos abzuarbeiten, mag aufwändiger sein, als Zinsen bspw. nach dem Basiszinssatz anzupassen.

Falls diese Gefahr besteht, sollte m. E. der Gesetzgeber schnellstmöglich tätig werden.

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Ganz so schön ist es dann doch nicht!

Der BFH hat nur die Nachzahlungszinsen der Höhe nach für verfassungswidrig erklärt. Die Zinspflicht selber steht außer Frage.

Die Überlegung stimmt aber für Sonderfälle. Bei der Kirchensteuer beispielsweise findet keine Zinsberechnung statt. Daher gilt: wer konfliktbereit mit den Kirchensteuerämtern ist, kann warten. Aber Vorsicht: die Kirchensteuerbehörde kommt nicht selber, sondern schickt den Vollstrecker des (staatlichen) Finanzamts.

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Ich freue mich über die Entscheidung wie ein kleines Kind auf Weihnachten.

Das Verzinsungsproblem war mir bisher so nicht in Zusammenhang mit säumigen Steuerschulden bewusst. Aber das gleiche Problem gibt es in der Kalkulation gemeindeeigenen Betriebe für Wasserversorgung- und -entsorgung. Darin wird das Eigenkapital der Gemeinden heftig verzinst und als Kosten an die Verbraucher weiter gegeben. Und das trotz des gesetzlichen Gewinnverbots (in den Kommunalabgabengesetzen der Länder). Regelmäßig ein wesentlicher Faktor für steigende Wasserkosten. Aber trotzdem bisher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht beanstandet.

 

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Der Betriebswirt darf beim Thema "Eigenkapitalverzinsung" bei der Kalkulation von Wasserver- und -entsorgung ein wenig 'Salz in die Wunden' streuen: Wenn eine Gemeinde in die Wasserver- und -entsorgung investiert, hat sie - wie jeder Investor - Anspruch auf eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Die betriebswirtschaftliche Rechtfertigung: ein Investor 'verliert' durch eine Investition in 'B' evtl. Zinserträge, weil nicht in 'A' investiert werden könnte (Opportunitätskosten).

Interessant wird die Frage der Eigenkapitalverzinsung in Zeiten des Negativzinssatzes. Wie ist die Frage der Eigenkapitalverzinsung zu beurteilen, wenn die Gemeinde für die vorübergehend nicht benötigter Liquidität 'negative Zinsen' auf Guthaben bezahlen muss? Müsste dann in die Kalkulation nicht eine 'Zinsersparnis' einfließen?

Salopp formuliert: besser die Straßen und Wasserversorgung sanieren, als Negativzinsen auf der Bank bezahlen?

"Zeiten des Negativzinssatzes" definieren Betriebswirte wohl anders als Kommunalbeamte und Verwaltungsrichter. Der Zinssatz bestimme sich nicht nach den in der jeweiligen Gebührenerhebungsperiode am Kapitalmarkt herrschenden Verhältnissen. So z.B. das VG Aachen (Urteil vom 11.12.2015 - 7 K 243/15, Rdnr. 36 ff.) unter Berufung auf das OVG Münster:

"Denn es handelt sich um eine kalkulatorische Verzinsung des in der Anlage langfristig gebundenen Kapitals, das sich im gesamten Restbuchwert widerspiegelt. Dieser Wert erfasst Anlagegüter unterschiedlichsten Alters und Kapitalbindungen unterschiedlichster Dauer. Da der kalkulatorischen Verzinsung die Funktion zukommt, einen Ausgleich für die finanziellen Belastungen zu bieten, die die Gemeinden für die Aufbringung des in der Anlage langfristig gebundenen Kapitals zu tragen haben, sind für die Höhe des Zinssatzes die langfristigen Durchschnittsverhältnisse am Kapitalmarkt maßgebend. Diese Verhältnisse können nach der Rechtsprechung des OVG NRW am langjährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten abgelesen werden.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 13. April 2005 - 9 A 3120/03 - juris, Rn. 69 und vom 5. August 1994 - 9 A 1248/92 -, juris, Rn. 83.

Die Zinskalkulation ist mithin zu messen an den langfristigen Durchschnittsrenditen dieser Emissionen, die bei Kalkulationserstellung bekannt waren, d.h. unter Berücksichtigung der Renditen, die angefallen waren in den vergangenen Jahrzehnten bis hin zum Vorvorjahr des Jahres, für das die Gebühren kalkuliert und erhoben werden sollen. Dieser langfristige Durchschnittswert darf nach der zitierten Rechtsprechung um bis zu 0,5 %-Punkte erhöht werden, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass wegen der die Anlagezinsen regelmäßig übersteigenden Kreditzinsen ein etwaiger Fremdkapitalanteil zu einem höheren Zinssatz zu berücksichtigen ist.

Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 28. Mai 2014 - 5 K 828/14 -, juris, Rn. 119; VG Minden, Urteil vom 14. Mai 2014 - 3 K 462/13 -, juris, Rn. 115.

Dem OVG NRW und dem erkennenden Gericht sind die Sätze der in Rede stehenden Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten seit dem Jahre 1955 bekannt. Die Sätze aus den Jahren 1955 bis 2002 ergeben sich aus einer von der Deutschen Bundesbank erstellten Übersicht vom 12. Januar 2004. Die Werte für die Folgezeit sind auf der Homepage der Deutsche Bundesbank veröffentlicht.

Ausgehend von den im Kalkulationszeitpunkt bekannten Emissionsrenditen der genannten Finanzanlagen in dem 50-Jahres-Zeitraum bis zum Vorvorjahr des Jahres, für das Gebühren kalkuliert und erhoben werden sollen (2013), ergibt sich unter Einbeziehung des Zuschlages von 0,5 %-Punkten für die Gebührenkalkulation des streitigen Veranlagungsjahres 2015 ein zulässiger Zinssatz von 6,68 %. Der in den jeweiligen Gebührenkalkulationen angesetzte Zinssatz von 6,5 % ist damit nicht überhöht."

Auf die betriebswirtschaftliche Begründung geben Verwaltungsrichter ausdrücklich nicht viel: "Eigenkapitalzinsen sind daher im Rahmen der Kostenrechnung unabhängig davon ansatzfähig, ob es betriebswirtschaftlich überzeugend begründbar ist, den Verzicht auf eine anderweitige rentierliche Eigenkapitalverwendung als fiktive Kosten in Gestalt so genannter Opportunitätskosten anzusehen, oder ob es sich vielmehr um eine Frage der Gewinnerzielung handelt" (VG Aachen, Rdnr. 34). Das muss doch aber sehr überraschen. Schließlich gilt in den Kommunalabgaben der Länder der Grundsatz der betriebswirtschaftlichen Kostenermittlung.
Weiter heißt es: "Letztlich beruht die Verzinsung des Eigenkapitals auf dem Gedanken, dass das in der Anlage gebundene Kapital nicht zur Erfüllung anderweitiger öffentlicher Aufgaben eingesetzt werden und daher an anderer Stelle keine Zinserträge erwirtschaften bzw. Zinsleistungen für Fremdkapital ersparen kann."

An dem Ansatz der Verwaltungsrichter ist so viel falsch, dass ich in diesem Beitrag nicht mehr darauf eingehen kann, ohne den Rahmen zu sprengen. Soll aber verkürzt soviel heißen wie: Die Erhebung der Gemeindesteuern - wie z.B. Grund- und Gewerbesteuer - dient der Kapitalbildung der Gemeinden zum Zwecke der Verzinsung und nicht unmittelbar der Aufgabenerfüllung aus der Selbstverwaltung, auch nicht der Pflichtaufgaben, von denen die wohl wichtigste ist: Versorgung der Bevölkerung mit frischem Wasser und Entsorgung des Abwassers. So verstandene Steuerhoheit der Gemeinden führt in der Konsequenz dazu, dass Erhebung von Nachzahlungszinsen für säumige Steuerschulden mangels gesetzgeberischer Willkür nicht verfassungswidrig sein kann. Ein Zirkelschluss.

M.E. liegt das Problem der Eigenkapitalverzinsung nicht in der Ermittlung der Höhe, sondern schon dem Grunde nach, wenn das investierte Kapital der Erfüllung von Pflichtaufgaben der Gemeinden im Rahmen der Selbstverwaltung dient. Pflichtaufgaben wären keine Pflichtaufgaben, wenn die Gemeinde eine Wahl oder ein Wahlrecht hätte. Insoweit existiert keine Opportunität und keine Möglichkeit für eine Alternativinvestition. Daher ist m.E. der Ansatz von Opportunitätskosten unzulässig. Übersehe ich dabei etwa irgendwas? Ist der Ansatz von Opportunitätskosten rein betriebswirtschaftlich überhaupt denkbar bei einem Eigenkapital, das a) keine Überschüsse erwirtschaften darf und b) alternativ nicht verwendet werden darf (wegen der Pflicht)?

 

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Vielen Dank für diesen ausführlichen Diskussionsbeitrag mit Verweisen auf die Rechtsprechung. 

Da die Rechtsprechung vor 2017 liegt, sehe ich meine Überlegung nicht widerlegt:

Ein Beispiel:

Seit Januar 2017 verlangt eine Kreissparkasse in Niedersachsen -0,40% Zinsen für Einlagen über eine Million Euro, d.h., wenn eine Kommune derzeit nicht benötigte Liquidität in dieser Größenordnung auf dem Konto hat, muss sie eine bei einer Million Guthaben pro Tag EUR 11,11 bezahlen (EUR Mio. 1,0 * -0,4/100 : 360 Zinstage).

Mit welchem Grund dürfte die Kommune dann eine Eigenkapitalverzinsung vom Bürger fordern, wenn die Alternative eine Art 'Aufbewahrungsgebühr' bei der örtlichen Sparkasse oder einem anderen Kreditinstitut wäre?

Bei der Eigenkapitalverzinsung dem Grunde nach darf ich auf das vor Kurzem vom BayVGH (Beschluss v. 16.05.2018 - 12 N 18.9) hoch gehaltene Kostendeckungsprinzip verweisen (siehe hierzu die Urteilsbesprechung in diesem Blog unter https://community.beck.de/2018/05/22/kostenrechnung-controlling-bei-der-fluechtlingsunterbringung). Es kann meines Erachtens nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass der Öffentlichen Hand in Zeiten 'normaler' Zinsen Zinserträge entgehen. Diese stellen nach unbestrittener betriebswirtschaftlicher Auffassung Opportunitätskosten dar, die ausgeglichen werden müssten.
Ein Beispiel: eine Kommune bekäme 1,0% p.a. für Einlagen über eine Million Euro. Der Gemeinderat entscheidet sich, diese - eigenkapitalfinanziert - in eine umlagepflichtige Infrastrukturmaßnahme zu investieren. Dadurch 'verliert' die Kommune EUR 10.000 jährlich (= EUR Mio. 1,0 * 1%). Dieser Betrag stünde für andere Aufgaben nicht zur Verfügung, heißt z.B.: die KiTa-Gebühren können in dieser Höhe nicht subventioniert werden.

Heißt umgekehrt: In Zeiten der Negativzinsen 'spart' die Kommune -0,4% p.a., müsste also den Anliegern dankbar sein, dass sie ihre überschüssige Liquidität in die Infrastruktur investieren darf. Die Kommune spart also durch die Anlage in Betongold.

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Wird hier wohl etwas vermischt? Die Finanzierung der untersten staatlichen Ebene (mit den kostenträchtigsten Aufgaben der Daseinsvorsorge) erfolgt einerseits über Steuern und andererseits über andere Kommunalabgaben, explizit Benutzungsgebühren. Nur bei Letzteren gibt es die kalkulatorische Verzinsung. Bei den kommunalen Steuern gibt es schlicht einen Verweis auf die Abgabenordnung, also auf Bundesrecht. Ob eine steuerfinanzierte Betätigung also Kapital bindet oder nicht, spielt gar keine Rolle.

Das Recht der Benutzungsgebühren wiederum stellt schon gar nicht auf das eingesetzte Eigenkapital ab. Es soll nämlich gerade keinen Unterschied zwischen reichen und armen Kommunen ausmachen, wie diese in der Lage sind, ihre Einrichtungen mit Kapital auszustatten. Eine Bilanzierung z.B. einer Kläranlage unterscheidet sich auch schon im Zeitablauf: unmittelbar nach dem Neubau bestehen offensichtlich mehr Schulden als kurz vor der Reinvestition, wenn über die verdienten Abschreibungen die Masse der Schulden getilgt sind.  

Der Gesetzgeber (eigentlich schon der des Preussischen KAG) hat also ganz bewusst entschieden, dass es auf den konkreten Mitteleinsatz der Kommune nicht ankommen soll, verzinst wird das (noch) gebundene Anlagevermögen, ganz unabhängig davon wie es finanziert wurde.

Betrachtet man gleichwohl die Passivseite der gebührenfinanzierten Einrichtung und findet dort Eigenkapital, folgt aus der Verzinsung des Anlagekapitals naturgemäß eine Eigenkapitalrendite. Jedoch ist dies kein verbotener Überschuss, wie regelmäßig angenommen wird: ("...  denkbar bei einem Eigenkapital, das a) keine Überschüsse erwirtschaften darf..."). Es gilt das Kostenüberschreitungsverbot des jeweiligen KAG. Da aber genau dort die kalkulatorische Verzinsung zu Kosten definiert wird, kann die "angemessene Verzinsung des Anlagevermögens" das Kostenüberschreitungsverbot nicht verletzen.

Und wegen der Höhe des Zinsfußes gab es seit jeher unterschiedliche Ansätze in diesem "Richterrecht" der Benutzungsgebühr. Betrachtet man, dass hier Anlagevermögen schon in einer einzelnen größeren Stadt leicht Milliardenwerte erreichen kann und von kurzfristiger Bindung (Straßenkehrmaschine) bis zu mehr als hundertjährger Nutzungsdauer (erste Kanalbauten aus 1870 sind auch heute noch in der Nutzung und qualitativ herausragend) reichen, müssen typisierende Vorgehensweisen hingenommen werden bzw. werden gerade von der Richterschaft anempfohlen.

Es ist daher nicht zu erwarten, dass die Diskussion über den gesetzlichen Zinsfuß der Abgabenordnung irgendeine Auswirkung auf das Recht der Benutzugsgebühr haben wird.          

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Hier findet sich der maßgebliche Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 25.4.2018 - IX B 21/18 und hier die dazugehörige Pressemitteilung vom 14.5.2018. Mit Urteil vom 9.11.2017 (AZ: III R 10/16) vertrat der 3. Senat des BFH noch die gegenteilige Ansicht, nämlich dass die Höhe der Nachforderungszinsen weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen das Übermaßverbot verstößt. Das Bundesverfassungsgericht beabsichtigt offenbar, schon in diesem Jahr über die Verfassungsmäßigkeit des § 238 Abs. 1 AO für die Verzinsungszeiträume nach dem 31. Dezember 2009 beziehungsweise nach dem 31. Dezember 2011 zu entscheiden (vgl. Jahresvorschau 2018, Nr. 25 - AZ: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17).

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Danke für den Ausblick.

Der Verfasser bleibt bei seiner Empfehlung: warum nicht Verzinsung nach einem Referenzzinssatz?
 

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