Nachwirkung teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.08.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3701 Aufrufe

Angesichts der Struktur vieler der in § 87 Abs. 1 BetrVG geregelten sozialen Angelegenheiten steht dem Betriebsrat häufig nur ein teilweises Mitbestimmungsrecht zu. So kann er beispielsweise hinsichtlich der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) zwar über die Verteilung, nicht aber über die Höhe des vom Arbeitgeber bereitgestellten Dotierungsrahmens mitbestimmen. Das wirft, wenn die Betriebsparteien beides miteinander in einer Betriebsvereinbarung vermengen, die Frage nach deren Nachwirkung auf. Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nämlich nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung ihre Regelungen nur in denjenigen Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Vor diesem Hintergrund hat das LAG Baden-Württemberg jetzt entschieden:

In teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen über freiwillige Geldleistungen steht es den Betriebspartnern frei, eine Nachwirkung auch über den ansonsten mitbestimmungsfreien Dotierungsrahmen zu vereinbaren. Eine solche Nachwirkung muss aber unmissverständlich erklärt werden.

Umstritten ist der Ersatz von Fahrtkosten. Die beklagte Arbeitgeberin zahlte der Klägerin bis einschließlich März 2016 ein "Fahrgeld" auf der Grundlage einer 2003 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung (BV). Schon 2004 hatte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mitgeteilt, sie habe beschlossen, die BV wieder zu kündigen, und ihm Gespräche über einen modifizierten Neuabschluss angeboten. Diese zogen sich offenbar über mehr als 10 Jahre ergebnislos hin. Jedenfalls erklärte die Arbeitgeberin im März 2015 die Kündigung der BV einschließlich der darin enthaltenen Vereinbarung, dass für den Fall der Kündigung "die Nachwirkung bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung" gilt. Zugleich teilte sie mit, keine Mittel mehr für Fahrtkostenzuschüsse bereitzustellen. Nach Ablauf der einjährigen Kündigungsfrist stellte sie ihre Leistungen an die Arbeitnehmer ein.

Das Arbeitsgericht Ulm hat die Klage abgewiesen (Urt. vom 1.12.2016 - 2 Ca 278/16). Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Zur Überzeugung des LAG Baden-Württemberg hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung der Fahrtkostenerstattungen. Dahingestellt bleiben könne, ob die BV bereits durch das Schreiben aus dem Jahr 2004 beendet worden sei. Jedenfalls im März 2015 habe die Beklagte die Kündigung erklärt. Eine Nachwirkung trete kraft Gesetzes nicht ein, da die Entscheidung der Arbeitgeberin, keine Mittel mehr für den Fahrtkostenersatz zur Verfügung zu stellen, mitbestimmungsfrei sei. Die BV gelte auch nicht aufgrund einer vereinbarten Nachwirkung fort. Zwar sei es dem Arbeitgeber nicht verwehrt, bei teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen hinsichtlich des eigentlich mitbestimmungsfreien Teils eine Nachwirkung zu vereinbaren. Die in der BV 2003 enthaltene Formulierung sei aber nicht zweifelsfrei als konstitutive Nachwirkung zu verstehen, sondern könne auch als lediglich deklaratorische Wiederholung des § 77 Abs. 6 BetrVG verstanden werden. Diese Zweifel gingen zu Lasten der Klägerin.

LAG Baden-Württemberg, Urt. vom 17.5.2017 - 4 Sa 1/17, BeckRS 2017, 114182

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