Auch ein Verstoß gegen § 93 Abs. 1 AktG kann Untreue darstellen

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 22.10.2016
Baum mit roten Blättern (Foto: C. Koss 23.10.2016)

Die Anklage gegen die sechs damaligen Vorstandsmitglieder der HSH Nordbank AG lautet auf  Untreue 266 Abs. 1 StGB). Im Dezember 2007 hatten sie auf der Grundlage unzureichender Informationen dem Abschluss eines Finanzgeschäfts zugestimmt. Dieses sollte die bankaufsichtsrechtlich zu bestimmende Eigenkapitalquote erhöhen, führte aber zu einem Vermögensnachteil für die Bank.

Zwei Vorstandsmitgliedern wird darüber hinaus vorgeworfen, gemeinschaftlich gem. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG die wirtschaftlichen Verhältnisse im Konzernabschluss unrichtig wiedergegeben zu haben. Im Quartalsbericht zum 31. März 2008 und in einer Pressemitteilung vom 20. Juni 2008 hatten sie fehlerhaft einen Überschuss in Höhe von 81 Mio. Euro auswiesen. In der Hauptverhandlung wurde jedoch ein Verlust von 31 Mio. Euro festgestellt.

Das LG sprach die Angeklagten jeweils frei. lm Hinblick auf den Vorwurf der Untreue habe die Hauptverhandlung zwar ergeben, dass die Angeklagten ihre Vorstandspflichten aus § 93 Abs. 1 AktG verletzt und hierdurch einen Vermögensnachteil bei der Bank herbeigeführt hätten. Die Pflichtverletzungen seien jedoch nicht in einer Weise "offensichtlich" und "gravierend", die sie im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH als tatbestandsmäßig i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB erscheinen ließen. Hinsichtlich des Vorwurfes nach § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG habe die Hauptverhandlung erbracht, dass in den betreffenden Darstellungen des Vermögensstandes zwar fälschlich ein Überschuss anstelle eines Fehlbetrages ausgewiesen worden sei. Die Unrichtigkeit habe sich jedoch nicht als "erheblich" dargestellt, weshalb es bereits an der objektiven Tatbestandsverwirklichung fehle.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des LG zurück. Das LG habe die 'Erheblichkeit' der Verstöße zu Unrecht als zu gering eingestuft.

Die strafrechtliche Würdigung von Berichts- und Sorgfaltspflichten von Verantwortlichen in Unternehmen sind selten, zumal in dieser Größenordnung. Sie verdienen daher Beachtung.

Die Entscheidung zeigt dreierlei:

  • Erstens, es ist nicht strafbar, ökonomische Entscheidungen zu treffen, die sich im Nachhinein als falsch erweisen. Es ist aber strafbewehrt, dies ohne ausreichende Informationsgrundlagen zu tun und - vor allem - falsch darüber zu informieren.
  • Zweitens, es ermuntert (hoffentlich) die Strafverfolgungsbehörden dazu, auch 'große' Wirtschaftsstraftaten anzugehen. Ein Richter in einer Wirtschaftsstrafkammer beklagte kürzlich gegenüber dem Verfasser, dass zwar jeder 'kleine' Ladendiebstahl verfolgt werde, 'große' Sachen aber mangels Ressourcen liegen blieben. Natürlich sind beides Straftaten und verdienen gleichermaßen rechtliche Würdigung. Kann es aber sein, dass der Weg des geringsten Widerstands als 'Verfahrensökonomie' übersetzt wird?
  • Drittens, es ermuntert (hoffentlich) die Gerichte dazu, auch Wirtschaftsstraftaten zu ahnden, bei denen die Berichterstattung in Jahresabschlüssen eine Rolle spielt. Bis in die Pressemitteilung des BGH vom 12.10.2016 zeigt sich, dass schon bei den Fachbegriffen Unsicherheiten in deren Verwendung bestehen. Vielleicht ermuntert diese Revisionsentscheidung dann auch zur Fortbildung im Rechtsgebiet des Bilanzrechts.
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