BVerfG: Betriebliche Mitbestimmung beim Blutspendedienst

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.06.2015

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gegen den Beschluss des BAG vom 22.5.2012 (1 ABR 7/11, NZA-RR 2013, 78) nicht zur Entscheidung angenommen. Der DRK-Blutspendedienst ist kein Tendenzunternehmen i. S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, das unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dient. Dem Betriebsrat stehen daher auch die Beteiligungsrechte in den wirtschaftlichen Angelegenheiten der §§ 106 ff. BetrVG zu, es ist ein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Die enge Auslegung des Begriffs „karitativ“ durch das BAG, wonach der Dienst den leidenden Menschen direkt zugutekommen muss, ist mit dem GG, insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, vereinbar.

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die einen Blutspendedienst betreibt. Sie hat sich den internationalen Grundsätzen der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung verpflichtet. Das gesammelte menschliche Blut wird von ihr medizinisch getestet, aufbereitet und anschließend gegen Entgelt an Ärzte und Krankenhäuser abgegeben. Mit der durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hatte der Erste Senat des BAG festgestellt, dass die Beschwerdeführerin kein Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG ist und demnach bei ihr ein Wirtschaftsausschuss (§§ 106 ff. BetrVG) gebildet werden muss.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG begründet ihren Beschluss wie folgt:

Zur Glaubens- und Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG:

Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mit der Begründung rügt, ihre karitative Betätigung sei weltanschaulich fundiert, fehlt es an einer hinreichend substantiierten Begründung. Die Beschwerdeführerin trägt weder vor noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie als Einrichtung einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft tätig würde. Sie wird von einer übergreifend karitativ-humanitären Bestimmung geleitet. Eine religiöse oder weltanschauliche Dimension ist jedoch kein bestimmendes Element ihrer Tätigkeit.

Zu dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem aus ihm resultierenden Willkürverbot:

a) Gegen den Gleichheitssatz wird nicht bereits dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung eines Fachgerichts fehlerhaft ist. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht.

b) Die enge Auslegung des Merkmals der karitativen Tätigkeit durch das Bundesarbeitsgericht folgt anerkannten Grundsätzen, denn die Regelung normiert eine Ausnahme von der gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten betrieblicher Mitbestimmung. Es ist insofern nicht zu beanstanden, wenn das Bundesarbeitsgericht davon ausgeht, die Ausnahme von der Mitbestimmung greife nur, wenn bei einer karitativen Tätigkeit der Dienst an leidenden Menschen direkt erbracht wird.  Auch spezielle Freiheitsrechte zwingen hier nicht zu einer Ausnahme von der betrieblichen Mitbestimmung.

Zur Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG:

Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Die im Betriebsverfassungsgesetz normierte Mitbestimmung ist mit Blick auf den sozialen Bezug des Unternehmerberufs, der nur mit Hilfe anderer ausgeübt werden kann, durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Vorliegend fehlen auch jedwede Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin durch die Bildung eines Wirtschaftsausschusses in unzumutbarer Weise beeinträchtigt würde.

BVerfG, Beschl. vom 30.4.2015 - 1 BvR 2274/12, BeckRS 2015, 46971

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