Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz kann unwirksam sein

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 10.02.2014

Eine Betriebsvereinbarung, die älteren, langjährig beschäftigten Arbeitnehmern einen besonderen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen einräumt, ist unwirksam, wenn zum gleichen Gegenstand ein einschlägiger Tarifvertrag existiert und dieser keine Öffnungsklausel beinhaltet. Das hat das LAG Düsseldorf entschieden (Beschluss vom 30.10.2013 - 7 TaBV 56/13, BeckRS 2013, 73439).

Die Arbeitgeberin und der bei ihr gebildete Betriebsrat streiten um die Geltung einer Betriebsvereinbarung. Mindestens seit 1969 existiert in dem Betrieb eine Betriebsvereinbarung, deren § 4 lautet:

„Mitarbeiter/-innen, die mehr als zwanzig Jahre ununterbrochen in der Bank tätig gewesen sind, können nur aus einem in ihrer Person liegenden wichtigen Grund gekündigt werden.“

Die Arbeitgeberin ist außerdem an den Manteltarifvertrag für das Bankgewerbe gebunden. In dessen § 17 wurde im Jahre 1975 eine Regelung aufgenommen, nach der Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mindestens 10 Jahre ununterbrochen angehören, nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG kündbar sind. Die Betriebsvereinbarung ist teilweise günstiger, weil sie nur personenbedingte Kündigungen aus wichtigem Grund zulässt und keine Ausnahme für Betriebsänderungen vorsieht. Ungünstiger ist sie insofern, als sie eine zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit voraussetzt.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass die Betriebsvereinbarung wegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam ist. Nach dieser Vorschrift können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (Tarifvorbehalt). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt (Öffnungsklausel). Der Betriebsrat hält § 77 Abs. 3 BetrVG nicht für einschlägig, weil die betriebliche Regelung zu seiner Überzeugung einen anderen Gegenstand betrifft als der Tarifvertrag.

LAG Düsseldorf: Betriebsvereinbarung verstößt gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG

Das Landesarbeitsgericht hat der Arbeitgeberin Recht gegeben: Entgegen der Auffassung des Betriebsrats erfasse § 17 Ziffer 3 des Manteltarifvertrages nicht lediglich einen Schutz gegen verhaltens- oder personenbedingte Kündigungen, sondern auch gegen betriebsbedingte Kündigungen. Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen werde lediglich für Betriebsänderungen eingeschränkt. Dadurch werde aber nicht der Regelungsgegenstand, nämlich der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts geändert. Der Einwand des Betriebsrats, bei der Arbeitgeberin gäbe es keine betriebsbedingten Kündigungen ohne Betriebsänderung, so dass faktisch ein Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen nicht geregelt werde, greife nicht. Denn die Geltung des Manteltarifvertrages beschränke sich nicht auf die Arbeitgeberin, sondern erfasse auch kleinere Banken. Bei diesen könne es durchaus betriebsbedingte Kündigungen ohne eine Betriebsänderung geben. Unerheblich sei, ob derartige Kündigungen im Bereich der Arbeitgeberin bislang vorgekommen seien, was nicht der Fall war. Entscheidend sei nur, dass betriebsbedingte Kündigungen vom Regelungsbereich des § 17 Ziffer 3 MTV erfasst werden. Die Tarifvertragsparteien hätten den Sonderkündigungsschutz betreffend eine abschließende Regelung getroffen und nicht etwa nur Rahmenbedingungen vorgegeben. § 4 der Betriebsvereinbarung fülle insoweit nicht etwa eine Lücke aus, sondern wolle die tarifvertraglich vorgegebene Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes vor betriebsbedingten Kündigungen ändern. Gerade dieser Umstand werde von der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG erfasst.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das LAG die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen.

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