Verhandlungsunfähig???? VON WEGEN!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 11.03.2013

Eine durchaus interessante Entscheidung des BGH zur Verhandlungsfähigkeit findet sich hier. Zum einen macht der Verurteilte eine solche nachträglich geltend (in der HVT sei er verhandlungsunfähig gewesen, ohne hiervon aber etwas zu sagen). Zum anderen bestehe die Verhandlungsunfähigkeit auch zur Zeit der Revision fort. Der BGH ist damit super umgegangen:

 

Der Senat hat keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des – ver-teidigten (dazu BVerfG NStZ 1995, 391, 392) – Angeklagten und sieht auch keinen Anlass, im Freibeweisverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Januar 1996 – 4 StR 741/95, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16) ein Sachverständigengutachten einzuholen.
a) Für die Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne genügt es grundsätzlich, dass der Angeklagte die Fähigkeit hat, in und außerhalb der Ver-handlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in ver-ständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen ab-zugeben oder entgegenzunehmen (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18, und vom 20. April 2004 – 1 StR 14/04, bei Becker NStZ-RR 2005, 261; HK-Julius, StPO, 5. Aufl., § 205 Rn. 4).
Ausweislich des Protokolls über die Hauptverhandlung zeigte sich der Angeklagte jederzeit in der Lage, sich sachgerecht zu verteidigen; er äußerte sich umfänglich zu den Tatvorwürfen. Weder aus den Urteilsgründen noch aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich irgendein Hinweis darauf, dass Bedenken hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bestanden haben oder hätten bestehen müssen. Er hat aktiv an der Verhandlung mitge-wirkt, indem er ausführliche Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache gemacht hat:
Der Angeklagte hatte, nachdem er im Ermittlungsverfahren noch jegliche Beteiligung an dem Brand abgestritten hatte, in der Hauptverhandlung bei sei-ner Vernehmung zur Sache eine substantiierte Einlassung vorgebracht, mit der er belegen wollte, das Feuer fahrlässig verursacht zu haben. Dabei „offenbarte der Angeklagte ein beeindruckendes Detailwissen bezüglich derjenigen Um-stände, die ihm erwähnenswert schienen.“ Nachfragen des Gerichts hatte er allerdings unter pauschalem Hinweis auf fehlende Erinnerung abgewehrt. Zwei Verhandlungstage später schob er eine sich in seine bisherige Sachdarstellung einfügende Ergänzung nach, um eine fahrlässige Brandlegung weiter zu unter-mauern, nachdem der Sachverständige erklärte hatte, dass der zunächst ge-schilderte Ablauf aus seiner Sicht kaum denkbar wäre. Nachfragen wehrte er wiederum unter Hinweis auf fehlende Erinnerung ab. Auf Seite 16 der Urteils-gründe listet die Strafkammer drei weitere Vorfälle auf, bei denen der Angeklagte sein ursprüngliches Einlassungsverhalten dem weiteren Gang der Hauptver-handlung – in aus seiner Sicht situationsadäquater Weise – angepasst hat. Auch in seinem letzten Wort hat er sich verständig zu den Anträgen der Staatsanwaltschaft geäußert.
Wenn während der Verhandlung, die zudem zeitweise in Anwesenheit eines psychiatrischen Sachverständigen stattgefunden hat, das Landgericht keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte und solche auch von dem Sachverständigen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 1987 – 5 StR 555/87, BGHR StPO vor § 1/Prozesshandlung, Verhandlungsfähig-keit 1) oder dem Verteidiger nicht geäußert wurden, kann die Verhandlungs-fähigkeit grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 1999 – 1 StR 669/98, bei Kusch NStZ-RR 2000, 38 [unbemerkter „Unterzuckerungsschock“], vom 19. Januar 1999 – 4 StR 693/98, NStZ 1999, 258, 259, vom 6. Mai 1999 – 4 StR 79/99, NStZ 1999, 526, 527, vom 19. September 2000 – 4 StR 337/00, bei Becker NStZ-RR 2001, 264, und vom 5. Januar 2005 – 4 StR 520/04, NStZ-RR 2005, 149, 150).
b) Auch die – anders zu beurteilende – Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten für das Revisionsverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16; Urteil vom 21. Februar 2002 – 1 StR 538/01, BGHR StPO vor § 1/Verfahrenshindernis, Verhandlungsfähigkeit 5; Beschluss vom 23. Februar 2006 – 4 StR 513/05) ist gegeben. Der Angeklagte hatte die Fähigkeit, über die Einlegung des Rechtsmittels der Revision verantwortlich zu entscheiden; irgendwelche Anhaltspunkte, die eine für die Beurteilung der Ver-handlungsfähigkeit relevante Änderung in der Woche nach Verkündung des Urteils in seiner Anwesenheit belegen könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch von dem Verteidiger nicht vorgetragen. Zudem ist nicht zweifelhaft, dass der Angeklagte während der Dauer des Revisionsverfahrens wenigstens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage war.
c) Unter den gegebenen Umständen ist der Senat davon überzeugt, dass er die für die Beurteilung notwendigen Tatsachenfeststellungen auf einer hinrei-chend zuverlässigen Grundlage treffen kann, ohne in dem hier gegebenen Ein-zelfall ein Sachverständigengutachten über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten einholen zu müssen (vgl. BVerfG NStZ 1995, 391, 393). Auch der Verteidiger hat in seinem Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 keinerlei Anhalts-punkte benannt, die konkret auf eine Verhandlungsunfähigkeit während der erstinstanzlichen Hauptverhandlung oder in dem danach anhängig gewordenen Revisionsverfahren hindeuten würden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2005 – 2 StR 98/05, NStZ-RR 2006, 42; HK-Julius, aaO).

 

BGH, Beschluss vom 4.12.2012 - 4 StR 405/12

 

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