Abgrenzung: Bedingter Tötungsvorsatz zum KV-Vorsatz

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.10.2012
Rechtsgebiete: TötungsvorsatzBGHStrafrechtVerkehrsrecht|5502 Aufrufe

Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes und des Körperverletzungsvorsatzes ist in der Praxis schwierig. Der BGH hat hierzu einmal wieder Stellung bezogen: Wie weit wird die Beweiswürdigung des Tatgerichts revisionsrechtlich geprüft? Was muss der Tatrichter prüfen? Welche tatsächlichen Feststellungen reichen aus?

 

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Be-weiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Liegen Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die vom Tatrichter vorgenommene Würdigung hinzunehmen, auch wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich oder gar näherliegend gewesen wäre.
 Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverlet-zungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prü-fung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Gleichwohl bedarf angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung die Frage der Billigung des To-des einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung so-wie seine Motive mit einzubeziehen sind. Insbesondere bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus der Kenntnis der Gefahr des möglichen Todeseintritts nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbständig neben dem Wissenselement ste-hende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 73, mit zahlreichen Nachwei-sen).

b) Den sich nach diesen Grundsätzen ergebenden rechtlichen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. dazu zuletzt BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NStZ 2012, 384) werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht.
Die Strafkammer hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in ihre Überlegungen einbezogen und insbesondere gesehen, dass der gezielte Messerstich in den Brustkorb des Tatopfers eine hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlung war, die ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass der Angeklagte den von ihm - entgegen seiner Einlassung und trotz seiner im Einzelnen nicht aufklärbaren Alkoholisierung - als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Dass das Landgericht seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes wegen des unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol spontan ausgeführten Messerstichs, des fehlenden Tötungsmotivs des Angeklagten, seiner im Allgemeinen nicht zu Aggressionen neigenden Persönlichkeit sowie seines Nachtatverhaltens nicht hat überwinden können, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit es die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten berücksichtigt hat. Das Landgericht war sich des eingeschränkten Beweiswerts dieses Umstandes für die innere Einstellung des Angeklagten im Tatzeitpunkt durchaus bewusst; dass es ihn gleichwohl als gegen einen Tötungsvorsatz sprechendes Indiz gewertet hat, erweist sich nicht als rechtsfehlerhaft, sind doch auch die Besonderheiten der Persönlichkeit des Täters in die erforderliche Gesamtschau einzustellen (BGH, Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91). 

 

BGH, Urteil vom 16.8.2012 - 3 StR 237/12

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