Die "Heinzelmännchenentscheidung" des OLG Hamm

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 07.08.2012
Rechtsgebiete: OLG HammStrafrechtVerkehrsrecht|3748 Aufrufe

Die Entscheidung liegt schon Jahre zurück. Ich bin eher zufällig drauf gestoßen. Das AG hatte festgestellt, dass es Heinzelmännchen gar nicht gibt - das OLG meint dazu: Die Heizelmännchen helfen da auch nicht weiter...

 

 

„ Am 29.04.2004 befuhr er in Minden- Meißen die B 482 m Bereich der südlichen Abfahrt zur B 65 FR Norden mit dem Pkw Mercedes XXXXXXXX. Im dortigen Bereich ist die Geschwindigkeit durch 2 doppelseitig aufgestellte 70 km/h-Beschilderung auf 70 km/h beschränkt (1. Doppelpaar 475 m, 2. Doppelpaar 215 m vor dem Messgerät). Es wurde mit dem dortigen Messgerät 593-033/60071, Typ TPH -S Firma Robot, geeicht bis 31.12.2004, Sensoren Messung 19.05.2004, gemessen. Der Messwert betrug 130 km/h, ergibt unter Beachtung des Toleranzwertes von 4 km/h eine verwertbare Überschreitung von 56 km/h.”

 

In der Beweiswürdigung ist u.a. Folgendes ausgeführt:

 

“ ........Soweit die Sensorenüberprüfung laut Akte am 19.05.2004 erfolgte, liegt zwar kein Nachweis für den 29.04.2004 durch einen Prüfnachweis vor. Wenn aber am 19.05.2004 die Ordnungsmäßigkeit der Sensoren festgestellt wurde, steht fest, dass diese am Messtag, dem 29.04.2004, ordnungsgemäß waren. Wäre sie am 29.04.2004 nicht korrekt gewesen, könnten sie am Messtag, den 19.05.2004, nicht in Ordnung gewesen sein oder, um es treffend zu formulieren, da es Heinzelmännchen nicht gibt, können diese eine Reparatur auch nicht durchgeführt haben..”

 

 

 

Das angefochtene Urteil unterliegt bereits aufgrund der Sachrüge der Aufhebung, weil dem Senat nicht die Möglichkeit eröffnet ist zu überprüfen, ob das Amtsgericht die dem Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit materiell rechtlich fehlerfrei festgestellt hat. Insoweit bedarf es keines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen.

 

Auch wenn die Anforderungen an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keinen hohen Anforderungen unterliegt, muss die Beweiswürdigung so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung ermöglicht wird.

Grundlage dieser revisionsgerichtlichen Beweiswürdigung ist das schriftliche Urteil, mit dem der Tatrichter darüber Rechenschaft gibt, auf welchem Wege er von den Beweismittelergebnissen zum festgestellten Sachverhalt gelangt ist (vgl. BGH, NStZ 1985, 184). Aus der Verfahrensvorschrift des § 267 StPO, die den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben. Doch ist eine entsprechende Erörterung und Würdigung dann notwendig, wenn das Rechtsbeschwerdegericht nur auf dieser Grundlage nachprüfen kann, ob das materielle Recht richtig angewendet worden ist und ob die Denk und allgemeinen Erfahrungssätze beachtet worden sind (vgl. BGH, MDR 1974, 502; OLG Düsseldorf OLGSt 1983, StPO, § 261 Nr. 1). Dabei muss die im Urteil mitgeteilte Beweiswürdigung in sich logisch, geschlossen, klar und insbesondere lückenfrei sein. Sie muss wenigstens die Grundzüge der Überlegungen des Tatrichters und die Möglichkeit des gefundenen Ergebnisses sowie die Vertretbarkeit des Unterlassens einer weiteren Würdigung aufzeigen. Es müssen alle aus dem Urteil ersichtlichen Tatsachen und Umstände, die Schlüsse zugunsten oder zu Ungunsten des Betroffenen zulassen, ausdrücklich erörtert werden (Grundlegend hierzu Göhler § 71 Rn 43 mwN). Einsatz eichfähiger Messgeräte muss dem Urteil auch zu entnehmen sein, dass eine gültige Eichung vorlag und die Bedienvorschriften beachtet wurden ( OLG Frankfurt ZfS 2001, 233, Schleswig-Holsteinisches OLG SchlHA 2004, 267, OLG Düsseldorf VRS 85, 222)

Diesen in Rechtsprechung und Literatur seit langem gefestigten Grundsätzen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

 

Wenn auch den Urteilsgründen noch entnommen werden kann, dass das Amtsgericht offensichtlich Lichtbildaufnahmen einer stationären Geschwindigkeitsmessanlage der Marke TPH -S Firma Robot mit eingeblendeter Geschwindigkeits- und Zeitangabe verwendet hat und eine gültigen Eichung dieses Messgerätes bis zum 31.12.2004 festgestellt hat, lässt sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen, dass der mit dem Messgerät gekoppelte Messwertaufnehmer, d.h. die in der Fahrbahn verlegten Sensorenkabel zum Tatzeitpunkt am 29.4.2004 eichamtlich geprüft waren.

Insoweit ergibt sich aus der Beweiswürdigung vielmehr, dass hinsichtlich der “Sensorenüberprüfung” aufgrund einer - durch einen Beweisantrag des Verteidigers erfolgten - Wahrunterstellung kein Nachweis für den 29.04.2004 durch einen Prüfnachweis vorlag, wobei diese Feststellung nur dahingehend verstanden werden kann, dass die Bescheinigung einer autorisierten Fachfirma über die halbjährliche Überprüfung des Sensorbereiches für den Tatzeitpunkt am 29.4.2004 nicht gegeben war.

 

Die stationäre Geschwindigkeitsmessanlage Traffiphot-S besteht aus einem in einem sogenannten “Starenkasten” untergebrachten Innenteil, bestehend aus einem Netzteil, einem Piezo-Detektor, einem Fototeil, einem Kontroll- und Bedienteil sowie einer Blitzeinrichtung.

Als Kontaktgeber zur Aktivierung des Messvorganges und zur Auslösung der Fotoeinrichtung bei Überschreitung des eingegebenen Geschwindigkeitslimits dienen 3 Piezo-Sensoren, die parallel zueinander im Abstand von jeweils 1m rechtwinkelig im Straßenverlauf in der Fahrbahndecke verlegt sind.

Sowohl das Messgerät als auch die in der Fahrbahndecke eingelassenen Sensoren unterliegen der Eichpflicht , wobei eine jährlichen Eichung des Messgerätes und eichamtliche Überprüfung der Sensorenkabel erforderlich sind.

Hinsichtlich des Sensorbereiches bedarf es aber einer weiteren halbjährlichen Überprüfung durch eine autorisierte Fachfirma, damit die eichamtlichen Voraussetzungen des „Sensorbereiches“ erfüllt sind, um amtliche Verkehrsüberwachungen durchführen zu dürfen.

Stellt das Amtsgericht aber - wie vorliegend fest - dass diese Überprüfung durch eine Fachfirma nicht nachweisbar ist, besteht hinsichtlich des Messwertgebers keine Eichung mehr. Gemäß §§ 25 Abs. 2 Nr. 1 EichG in Verbindung mit §§ 25 Abs. 1 Nr. 3 EichG, 6 Abs. 1 Nr. 1 EichO folgt daraus ein Verbot der Verwendung eines solches Messgerätes bzw. einer solchen Messstelle.

Allerdings beinhaltet § 25 Abs. 1 Nr. 3 iV.m. Abs. 2 EichG kein Verwertungsverbot für das Ordnungswidrigkeitenverfahren ( OLG Celle NZV 1996, 419; KG Berlin NZV 1995, 456-457, a.A. Erbs/Kohlhaas EichG, § 25 Rn. 11), denn Sinn und Zweck des EichG ist es eine, besonders qualitative Sicherheit der Geschwindigkeitsmessung zu gewährleisten, die durch die Eichpflicht des EichG § 2 Abs. 1 garantiert ist. Diesem Zweck kann aber auch dadurch entsprochen werden, dass qualitätsmäßige Bedenken gegen eine Geschwindigkeitsmessung durch einen entsprechenden Sicherheitsabschlag ausgeglichen werden ( KG Berlin aaO).

 

Der Tatrichter muss sich aber dann in den Urteilsgründen damit auseinandersetzen, welche möglichen geräteeigenen Fehler er bei Einsatz eines ungeeichten Gerätes und welche Sicherheitsabschläge er berücksichtigt hat, damit das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das Amtsgericht ohne Verstoß gegen wissenschaftliche Erfahrungssätze zu der festgestellten Geschwindigkeit gekommen ist. Entgegen der Auffassung des Tatrichters bedarf es daher keines Bemühens der Heinzelmännchen, sondern einer argumentativen Auseinandersetzung mit möglichen Messfehlern.

 

Das sich das Gericht angesichts der komplizierten Materie hierbei der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat und nicht seine eigene Sachkunde zugrundelegen kann, bedarf keiner weiteren Begründung.

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