Fahrverbotsvollstreckung: Leitsätze aus 2011

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 03.08.2012

In SVR 2012, 171 findet man meine ausführliche Rechtsprechungsübersicht zur Fahrverbotsrechtsprechung 2011. Hier die Entscheidungen, die die Vollstreckung betrafen:

 

Beginn der Verbotsfrist für ein Fahrverbot bei Verlust des Führerscheins

Ist gegen den Verurteilten ein Fahrverbot verhängt, so beginnt die Verbotsfrist bei tatsächlichem oder angeblichem Verlust des Führerscheins erst mit dem Zeitpunkt, zu dem ein Ersatzführerschein in amtliche Verwahrung gelangt.

Wird kein Ersatzführerschein in amtliche Verwahrung gegeben, wird die Verbotsfrist erst durch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung über den Verbleib des Führerscheins im Verfahren nach § STPO § 463 b StPO in Lauf gesetzt.

AG Bremen, Beschluss vom 28.7.2010 – 82 Cs 650 Js  62443/09 (12/10) = NZV 2011, 151.

 

 

Fahrverbotsvollstreckung (Parallelvollstreckung zweier Schonfristfahrverbote)

Fahrverbote aus Bußgeldentscheidungen, die wegen gleichzeitiger Zurücknahme von Einsprüchen auch gleichzeitig rechtskräftig werden, sind parallel zu vollstrecken. Insbesondere steht dem der Wortlaut des  § 25 Absatz 2 a S. 2 StVG nicht entgegen, da er diese Fälle nicht meint. Gemäß § 25 Absatz 2 a S. 2 StVG sind die Fahrverbotsfristen nacheinander, und zwar in der Reihenfolge der Rechtskraft der Bußgeldentscheidungen zu berechnen, wenn gegen den Betroffenen nach einem bereits rechtskräftig angeordneten Fahrverbot weitere Fahrverbote rechtskräftig verhängt werden. Diese Formulierung setzt auch verschiedene Rechtskrafttermine voraus und erfasst somit nicht Fälle, in denen Bußgeldentscheidungen gleichzeitig, dh an einem Tag, rechtskräftig werden. Da die Rechtskraft nach Tagen und nicht nach Stunden oder Minuten gemessen wird, kommt es auch nicht darauf an, zu welcher Uhrzeit eine Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Die zuvor genannte Vorschrift soll lediglich verhindern, dass derjenige, gegen den mehrere Fahrverbote mit Vier-Monats-Frist (nacheinander) verhängt wurden, den Fristbeginn auf einen und denselben Tag legen kann.

Fahrverbote mit „Vier-Monats-Abgabefrist“ werden gemäß § 25 Absatz 2 a S. 2 StVG nacheinander in der
Reihenfolge der Rechtskraft vollstreckt – eine Parallelvollstreckung kommt nur in Frage, wenn sie wegen gleichzeitiger Zurücknahme von Einsprüchen auch gleichzeitig rechtskräftig geworden sind.

AG Tecklenburg, Beschluss vom 9.9.2011 – 10 OWi 319/11 [b] = Blutalkohol 2012, 52.

 

(Keine) Parallelvollstreckung von Schonfristfahrverboten und „gemischten“ Fahrverboten

Durch den Nacheinandervollzug von zwei Fahrverboten nach § 25 Abs. 2 a (oder § 25 Abs. 2 und  § 25 Absatz 2 a StVG) kann der weniger hartnäckige Verkehrssünder (Ersttäter) zwar in Einzelfällen schlechter gestellt sein als der Betroffene, gegen den zwei Fahrverbote nach § 25 Absatz 2 StVG (Wiederholungstäter) oder § 44 StGB
(Straftäter) zu vollstrecken sind. Die mit der 4-Monatsfrist bewirkte Besserstellung des Betroffenen wird, um Missbräuche auszuschließen, durch eine mit dem Nacheinandervollzug verbundene Schlechterstellung des Betroffenen kombiniert. Der Gesetzgeber hat also versucht, Vor- und Nachteile auszugleichen. Damit ist ein sachlicher Grund gegeben, der eine Ungleichbehandlung bzw eine Schlechterstellung des über § 25 Absatz 2 a S.
1 StVO privilegierten Betroffenen gegenüber dem mit zwei Fahrverboten nach § 25 Absatz 2 StVG oder §
STGB § 44 StGB Betroffenen rechtfertigt.

Hier ist auch zu berücksichtigen, dass eine Zusammenlegung bei privilegierten Fahrverboten wesentlich einfacher zu bewerkstelligen wäre, die Missbrauchgefahr mithin bei Vorliegen auch nur eines privilegierten Fahrverbotes wesentlich höher ist als bei „normalen" Fahrverboten.

Das gleichzeitige Eintreten der Rechtskraft hindert nicht den Nacheinandervollzug gemäß § 25 Absatz 2 a StVG. §
 25 Absatz 2 a StVO bestimmt vorrangig, dass die Fahrverbote “nacheinander zu berechnen sind“. Sinn und Zweck von § 25 Absatz 2 a S. 2 StVG ist es, einen möglichen Missbrauch durch ein Zusammenlegen von Fahrverboten zu verhindern. Entgegen Krumm, DAR 2008, DAR  2008, 54 f ist somit auch bei gleichzeitiger Rechtskraft ein Nacheinander-Vollzug zu bejahen. Ansonsten würde der Sinn und Zweck der Norm konterkariert und überdies von der Rechtsfolgenseite der Norm auf deren tatbestandliche Voraussetzungen geschlossenen werden. Die Reihenfolge der Rechtskraft ist nämlich nicht Voraussetzung der Norm, sondern lediglich Rechtsfolge. Die Unklarheit der Bestimmung auf Rechtfolgenseite kann durch sachgerechte Auslegung geschlossen werden, insofern als ein sachgerechter Nacheinandervollzug der Fahrverbote zu erfolgen hat.

AG Viechtach, Beschluss vom 14.10.2011, 6 II OWi 818/11 = Verkehrsrecht aktuell 2011, 213.

Auch bei gleichzeitiger Herbeiführung der Rechtskraft hinsichtlich zweier mit Schonfrist versehener Fahrverbote kommt eine parallele Vollstreckung nicht in Frage. § 25 Absatz 2 a StVG dient dazu, Missbrauchsfälle, die
ansonsten durch ein geschicktes Einspruchsmanagement entstehen würden, zu verhindern. Entgegen Krumm,
DAR 2008, 54 ff sowie der Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 19.1.2010, 13 OWi 705 Js
EGMR Aktenzeichen 23983/09, ist
somit auch bei gleichzeitiger Rechtskraft ein Nacheinandervollzug zu bejahen. Ansonsten würde der Sinn und Zweck der Norm konterkariert und überdies von der Rechtsfolgenseite der Norm auf deren tatbestandliche Voraussetzungen geschlossen werden. Die Reihenfolge der Rechtskraft ist nämlich nicht Voraussetzung der Norm, sondern lediglich Rechtsfolge.

AG Göppingen, Beschluss vom 6.4.2011 –  9 OWi 85/11 – juris.

Parallelvollstreckung von gemischten Fahrverboten

Tritt während der laufenden Vollstreckung eines Fahrverbots unter Gewährung der Viermonatsfrist nach § 25 Absatz 2 a S. 1 StVG ein weiteres rechtskräftiges Fahrverbot nach  § 25 Absatz 2 StVG oder nach §
STGB § 44 StGB hinzu, so werden ab Rechtskraft der zweiten Entscheidung beide Fahrverbote parallel vollstreckt.

AG Bremen, Beschluss vom 20.8.2010 – 82 OWi 660 Js 71292/09 (4/10), 82 OWi 4/10 = NZV 2011, 50.

 

Durchsuchung zur Vollstreckung des Fahrverbots/Ermächtigungsgrundlage

Entgegen einer Mindermeinung steht in Gestalt von§ 25 Absatz 4 S. 1 StVG eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben – insbesondere dem Gesetzesvorbehalt sowie dem Richtervorbehalt des Artikel 13 Absatz 2 GG – entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die richterliche Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Betroffenen zur Auffindung eines beschlagnahmten Führerscheins bei der Vollstreckung eines verwaltungsbehördlich verhängten Fahrverbots zur Verfügung. Nach Maßgabe des  § 25 Absatz 2 S. 4 StVG ist der Führerschein des Betroffenen im Falle eines Fahrverbots zu beschlagnahmen, wenn er
nicht freiwillig zum Zwecke der amtlichen Verwahrung herausgegeben wird. § 25 Absatz 4 S. 1 StVG wiederum
sieht vor, dass der Betroffene auf Antrag der Vollstreckungsbehörde vor dem Amtsgericht die eidesstattliche Versicherung abzugeben hat, wenn der beschlagnahmte Führerschein bei ihm nicht vorgefunden wird. Diese beiden Vorschriften stellen daher in ihrer Zusammenschau eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für eine richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung im Falle eines durch die Verwaltungsbehörde in einem rechtskräftigen Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots iSd  § 25 Absatz 1 StVG dar. Dies ergibt sich insbesondere aus einer wörtlichen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung dieser Vorschriften.

AG Göppingen, Beschluss vom 11.10.2011 – 9 11.10.2011 Aktenzeichen Gs 21/11 – juris.

 

Wohnungsdurchsuchung zur Auffindung des Führerscheins

In Gestalt von § 25 Absatz 4 S. 1 StVG steht eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die
richterliche Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Betroffenen zur Auffindung des beschlagnahmten Führerscheins bei der Vollstreckung eines von der Verwaltungsbehörde verhängten bußgeldrechtlichen Fahrverbots zur Verfügung.

LG Lüneburg, Beschluss vom 8.7.2010 – 26 Qs 155/10 = NZV 2011,  153 = ADAJUR Dok.Nr. 89300 = DAR 2011,
DAR 2011,275 = NdsRpfl 2010, NDSRPFL Jahr 2010 Seite 415.

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