Vertrauen in die Justiz oder das einseitige Verhältnis von Richtern und Anwälten

von Dr. Klaus Lützenkirchen, veröffentlicht am 02.02.2012
Rechtsgebiete: AnforderungenDarlegungslastMiet- und WEG-Recht7|7107 Aufrufe

Ich weiß nicht so richtig, ob meine heutigen Gedanken in diese Rubrik passen. Aber dennoch:

Unsere Ausbildung ist auf die Befähigung zum Richteramt ausgerichtet. Also waren wir zumindest in der Ausbildung einmal Kollegen (wenn nicht sogar Leidensgenossen).

Wenn wir dann in das Berufsleben treten und der Eine oder Andere seine Befähigung unter Beweis stellen darf, nimmt die ehemalige Kollegialität zunehmend kriegerische Qualitäten an. Denn wenn – jedenfalls im Zivilprozess – der Richter in sein Urteil schreibt, dass er dem Begehren der Partei nicht nachkommen kann, weil nicht ausreichend vorgetragen wurde, bescheinigt er der Naturalpartei zunächst einmal, dass ihr Anwalt seine Berufspflichten verletzt hat (wie es dazu gekommen ist, weiß er ja nicht). Ob das richtig ist, wird sehr oft nicht geprüft. Vielmehr gelten insoweit zumeist individuelle Anforderungen. Das ist wie bei Fehlzitaten in einem Urteil: Ein Berichtigungsanspruch wegen offensichtlicher Unrichtigkeit besteht nicht.

Nun kann man das zur Kenntnis nehmen und sich damit beruhigen, dass auch die Richter nur Menschen sind. Selbst wenn sie aus einem gemeinsamen Semester stammen, man in der Studienzeit gemeinsam Sport betrieben hat, durch eine gemeinsame Arbeitsgemeinschaft verbunden ist oder einfach nur denkt, wir haben doch die gleichen Examina gemacht: ein Schelm der Böses dabei denkt, wenn der Richter dem Anwalt bescheinigt, dass er – der ehemalige Kollege -  schlecht gearbeitet hat.  

Wir sind uns einig, dass es in der Natur des Juristen liegt, über andere zu urteilen – und am liebsten über den (lieben) Kollegen. Allerdings ist die Sache mit dem substantiierten Sachvortrag ziemlich eindeutig, und zwar – und das seit langem - entgegen der allgemein verbreiteten Meinung der Richter an Amts- und Landgerichten: ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (BGH v. 12.7.1984 - VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888 unter II 1a; BGH v. 21.1.1999 - VII ZR 398/97, NJW 1999, 1859 unter II 2 a m.w.N.; BGH v. 1.6.2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710 unter II 2 a; BGH v. 21.5.2007 - II ZR 266/04, NJW-RR 2007, 1409 Rz. 8; BGH v. 12.6.2008 - V ZR 221/07, WPM 2008, 2068 = juris Rz. 6 f.).

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nur aus Gründen der Vollständigkeit soll erwähnt werden, dass entsprechende Grundsätze z.B. auch für die Schadenshöhe aufgestellt worden sind. In seiner Entscheidung vom 14.07.2010 – VIII ZR 45/09 führt der BGH unter Tz. 22 u.a. aus:

Ebenso wenig hat das Berufungsgericht bedacht, dass bei feststehendem Verlust eines Gegenstandes, für den Ersatz zu leisten ist, mangels näherer Anhaltspunkte ein mittlerer und nicht notwendig der denkbar geringste Wert zu schätzen sein kann (BGH v. 7. Juli 1970 - VI ZR 233/69, NJW 1970, 1970, unter B II 2 b aa m.w.N.). Soweit für die zum Ersatz gestellten gebrauchten Gegenstände kein Markt (mehr) besteht und deshalb kein Marktwert festgestellt werden kann, hätte das Berufungsgericht - und zwar selbst unter Berücksichtigung nicht vorgetragener Tatsachen, willkürlich wäre (BGH v. 24.6.2009 - VIII ZR 332/07, WM 2009, 1811,) - außerdem erwägen müssen, ob der betreffende Schaden nicht durch Ansatz desjenigen Preises zu schätzen ist, der - unter Abzug eines angemessenen Ausgleichs neu für alt - bei der Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzgegenstandes angefallen wäre (vgl. BGHZ 115, 364, 368).

Ich sehe schon die Kommentare, was ich mir jetzt wieder habe einfallen lassen und: was hat das mit Kollegialität zu tun? (Apropos Kollegialität: als Kölner Rechtsanwalt muss ich morgen einen Gerichtstermin in Landgericht Düsseldorf wahrnehmen – wenn die diesen Artikel lesen …).

Aber gut. Meine Zitate haben nichts mit Kollegialität zu tun. Nichts. Nein. Wirklich nichts. Außer, dass die Kollegen Rechtsanwälte nicht zurückschlagen können. Wir wissen zwar, dass der BGH es anders sieht, so dass wir uns dem vermeintlichen Regress erwehren können. Wir haben aber verloren und die Bescheinigung, dass wir schlecht gearbeitet haben. Für uns ist die Qualität unserer Arbeit ein Akquisitionsmittel. Für den Richter allenfalls Mittel zum Zweck der Beförderung.

Egon Schneider hat einmal in einem unerwartet offenen Beitrag in der ZAP (Nr. 1 vom 9.1.1992) Abbitte bei den Anwälten für das Denken als Richter geleistet. Nachdem er wirklicher Kollege geworden war, hat er zusätzlich in der Zeitschrift für die Anwaltspraxis 1994, 155 formuliert: „Die deutsche Elendsjustiz nimmt immer schärfere Konturen an. Der Niedergang der Rechtsprechung ist flächendeckend. Was mich persönlich am meisten erschüttert, ist der Mangel an Berufsethik und an fachlicher Scham.“

Soweit wäre ich nicht gegangen. Immerhin stehe ich voller Bewunderung vor der Rechtsprechung des VIII. Senats, die mir das Vertrauen zurück gegeben hat, dass das Mietrecht Teil des Schuldrechts ist. Dennoch muss ich feststellen, dass es mir zunehmend schwer fällt, für falsche Urteile Verständnis aufzubringen („Irren ist menschlich“), zumal es fast keine Entscheidung mehr ohne den Schlenker des unsubstantiierten Sachvortrags mehr gibt. Oftmals erwische ich mich bei dem Neid-Gedanken, dass der „Kollege“, der sein Urteil mit den überhöhten Anforderungen an die Substantiierungslast begründet hat, ein freies Wochenende genießt, während ich mir den Kopf zerbreche, was alles noch vorzutragen sein könnte.

Aber klar: ich hätte ja seinerzeit auch dem Anruf aus dem Justizministerium folgen können. Wenn ich unbedingt Anwalt werden wollte ….

Früher habe ich aber auch noch mehr Kollegialität mit den Richtern erfahren. Heute sind Justizfehler – nicht nur in Urteilen, sondern in jeder Form (falsche Ladung, keine Abladung, Schriftsätze nicht übermittelt, lange Wartezeiten bei Terminen etc.) – selbstverständlich. Aber auch ohne Auswirkung für die Täter. Die „Kollegen“ Anwälte baden es dann aus, indem sie ihren Mandanten trotz anderer Erlebnisse das Vertrauen in die Justiz vermitteln.  

Ich wünsche jedem Richter ein einziges Telefonat mit einem Mandanten, der die Wege der Justiz nicht nur als Kreuzfahrtschiffer empfindet. Einstweilen würde ich mich freuen, dass wenigstens die Zitate aus diesem Beitrag allen neu eingestellten Richtern durch ihren Diensthernn übermittelt würden.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

7 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Ich stimme Ihnen zu, auch wenn Sie meiner Ansicht nach das Thema verfehlen. Es hat nichts mit "Kollegialität" zwischen Richtern und Anwälten zu tun. Vielmehr mit dem Anspruch auf ein ordentlich begründetes Urteil. Und die Kollegen unter uns, die den Richterberuf ergreifen, sollten ihre Urteile auch ordentlich (und nicht mir Hinweis auf unzureichenden Sachvortrag) begründen.

Ich selbst hatte Urteile, die schlicht weg falsch waren. Das musste ich meinem Mandanten dann erkären. Es fiel leichter, als der Mandant gesehen hatte, dass sich vor dem Gerichtssaal selbst der gegenerische Anwalt über die Begründung amüsiert hat. Dennoch wollte der Mandant nicht in Beruf gehen, weil ihm das Kostenrisiko zu groß war.

Was ist eventuell tröstlich: Die Richter glauben daran, dass diese Urteile richtig sind. Und zudem: Auch wenn wir Richter geworden wären, würden wir mit abgedroschenen (und falschen) argumenten das ein oder andere Urteil sprechen und so die Akte vom Tisch bekommen. Das macht es nicht besser, aber verständlicher.

Für mich war die Konsequenz eindeutig: Ich habe den Beruf des RA aufgegeben. Für mich ist es unbefriedeigend, eindeutig falsche Urteile von Richtern zu bekommen und dies auch noch meinem Mandanten erklären zu müssen. Es ist zwar subjektiv, wann ein Urteil "richtig" ist, jeder RA weiß aber, dass es einfach von der Begründung her falsche Urteile gibt, mit denen es sich der Richter lediglich einfach machen will, eine Entscheidung zu treffen.

5

Ich weiß nicht, ob die Diagnose von Herrn Schneider zutrifft. Der ist offenbar der Auffassung, dass die Qualität abnimmt, seit er nicht mehr Richter ist. In der ZAP hat er selber aber einmal einen Artikel verfasst, in dem er berichtet, wie er einem Anwalt zur Berufung gegen ein von ihm verfasstes Urteil rät, weil ihm bei der Begründung ein Fehler eingefallen ist. Mit Unparteilichkeit hat das nun auch nur begrenzt zu tun. Herr Schneider war Richter zu einer Zeit, als es faktisch noch das Kammerprinzip gab, Zivilkammern teils mit 1 Vorsitzenden und 3 Beisitzern ausgestattet waren und Protokollführer zur Verfügung standen. Dass sich dabei das Bild eines mit üppigem Freizeitbudget versehenen Richters entwickelte, ist verständlich. Heute ist das sicher nicht mehr so.

 

Vielleicht nur ein paar Einzelbeobachtungen, die sicher nicht repräsentativ sind und Fehlurteile bzw. mangelnde Fairness in der Verfahrensführung natürlich nicht erklären oder rechtfertigen und niemanden bashen sollen. Und auch nicht ein Einstimmen in das allgemeine Jammern über die teils nur gefühlte Überlastung sein sollen:

Die rein technischen Fehler (Ladungsmängel etc.) beruhen mE  weitgehend auf der Kosteneinsparung. Verfahren entscheidet beim LG häufig der Einzelrichter, der auch selbst das Protokoll diktieren  darf, weil keine Protokollführer mehr eingestellt werden. Die Konzentration z.B. auf den Inhalt von Zeugenaussagen leidet  eben, wenn man gleichzeitig selbst diktieren muss. Die Justiz bildet kaum mehr eigenes Personal (Urkundsbeamte) aus. Denn aufgrund von Einsparungen bei den Bundesländern werden Stellenpools aus abzubauendem Personal gebildet, aus dem freie Stellen bei den Geschäftsstellen (bzw. neudeutsch: Serviceeinheiten) nachbesetzt werden. Dadurch fehlt es oft am Verständnis für die Verfahrensabläufe.

Gelegentlich ergeben sich derartige Fehler aus der Einführung neuer EDV_Systeme. So soll es in München dazu gekommen sein, dass einige LG_Urteile wegen unwirksamer Verkündungsprotokolle aufgehoben wurden. Ursache soll ein Programmfehler gewesen sein.

 

- Was das Weiterleiten von Schriftsätzen angeht, so muss sich die Anwaltschaft teils (!!!!)selbst an die Nase fassen: mal vorab per Telefax wahlweise mit oder ohne Anlagen und mit oder ohne Abschriften, Abschriften wahlweise mit oder ohne Anlagen,  mal nur per Telefax, mal mit Direktzustellung an Gegner, dabei auch wahlweise mit oder ohne Anlagen, etc. Jeder nach seinem eigenen System. Und dank juris jedenfalls mit Ausdrucken von 20 angeblich einschlägigen Entscheidungen.

 

- Aufgrund des Fristenkontrollzwangs wird gefühlt in 50%  aller Mahnverfahren nach Aufforderung zur Anspruchsbegründung durch die Geschäftsstelle vom RA eine Fristverlängerung beantragt (obwohl es keine richterliche Frist ist und bei Versäumnis eben  nur auf Antrag des Gegners terminiert wird, also grds. kein Risiko).

Ich denke, dass andererseits die gesetzlich seit den JuMogs konkretisierte Hinweispflicht und Dokumentationspflicht dazu führte, dass die Hinweispraxis der Gerichte etwas weniger lasch gehandhabt wird.

Und schließlich arbeitet auch der Gesetzgeber daran, dass die Arbeit der Gerichte nicht einfacher, jedenfalls aber fehleranfälliger  wird. Ich denke da z.B. an die unterschiedlichen Rechtsmittelbelehrungen, die nach dem FamFG vorgesehen sind.

4

Man stelle sich vor, was passiert wäre wenn Dr. L. gewonnen hätte. Der Mandant der Gegenseite hätte dann womöglich irgendwo (Vorschlag: justiz-unrecht.de) gebloggt, dass der Richter ja ein Studienkumpel von Dr. L. sei und nur deswegen sei so entschieden worden.

 

Und dass Dr. L. bzw. sein Mandant die Entscheidung ungerecht findet - ich denke, die wenigsten Verlierer vor Gericht sehen es ein.

 

Zum Thema "dass er dem Begehren der Partei nicht nachkommen kann, weil nicht ausreichend vorgetragen wurde": das passiert auch anderen. Ich habe mal als Zuschauer einen Prozess am KG besucht, in dem ein bekannter, respektierter Prof.+Dr.+Anwalt in etwa sowas vorgeworfen wurde, und schwupps, Prozess verloren.

0

"wenn – jedenfalls im Zivilprozess – der Richter in sein Urteil schreibt, dass er dem Begehren der Partei nicht nachkommen kann, weil nicht ausreichend vorgetragen wurde, bescheinigt er  ..."

... sich selbst, seinen Aufklärungs- und Hinweispflichten nicht ausreichend nachgekommen zu sein (§ 139 I 2 ZPO). Das ist keine Frage der Kollegialität, sondern der Professionalität. Aber dem Anwalt hilft das natürlich nicht.

3

"wenn – jedenfalls im Zivilprozess – der Richter in sein Urteil schreibt, dass er dem Begehren der Partei nicht nachkommen kann, weil nicht ausreichend vorgetragen wurde, bescheinigt er  ..."

... sich selbst, seinen Aufklärungs- und Hinweispflichten nicht ausreichend nachgekommen zu sein (§ 139 I 2 ZPO). Das ist keine Frage der Kollegialität, sondern der Professionalität. Aber dem Anwalt hilft das natürlich nicht.

 

Oftmals weit gefehlt.

 

Wie steht es so schön in § 139 ZPO: "Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat..."

0

Wäre man böse, könnte man das Vertrauen in die juristische Qualität auch an der Rechtsprechung zur Anwaltshaftung und zur Rechtsbeugung ablesen.
Auch wenn es natürlich um unterschiedliche Maßstäbe geht, ist doch die Tendenz der Rechtsprechung zur Anwaltshaftung so, dass die Anforderungen an die Qualität der anwaltlichen Arbeit stetig steigt. Die Rechtsprechung zur Rechtsbeugung hingegen ist hinsichtlich der Qualität richterlicher Tätigkeit genau umgekehrt.
 

0

Welch ein Glück (für alle Beteiligten), ist man versucht zu sagen, dass Dr. L. nicht dem "Anruf aus dem Justizministerium" gefolgt und Richter geworden ist! Er hätte vermutlich nie gelernt zu ertragen, dass man in diesem Beruf damit leben muss, zuweilen  -  und jedenfalls häufiger als Anwälte sich den Vorwurf unsubstantiierten Vortrags gefallen lassen müssen  -  von der nächsthöheren Instanz aufgehoben zu werden.

5

Kommentar hinzufügen