Vertrauen in die Justiz oder das einseitige Verhältnis von Richtern und Anwälten
Gespeichert von Dr. Klaus Lützenkirchen am
Ich weiß nicht so richtig, ob meine heutigen Gedanken in diese Rubrik passen. Aber dennoch:
Unsere Ausbildung ist auf die Befähigung zum Richteramt ausgerichtet. Also waren wir zumindest in der Ausbildung einmal Kollegen (wenn nicht sogar Leidensgenossen).
Wenn wir dann in das Berufsleben treten und der Eine oder Andere seine Befähigung unter Beweis stellen darf, nimmt die ehemalige Kollegialität zunehmend kriegerische Qualitäten an. Denn wenn – jedenfalls im Zivilprozess – der Richter in sein Urteil schreibt, dass er dem Begehren der Partei nicht nachkommen kann, weil nicht ausreichend vorgetragen wurde, bescheinigt er der Naturalpartei zunächst einmal, dass ihr Anwalt seine Berufspflichten verletzt hat (wie es dazu gekommen ist, weiß er ja nicht). Ob das richtig ist, wird sehr oft nicht geprüft. Vielmehr gelten insoweit zumeist individuelle Anforderungen. Das ist wie bei Fehlzitaten in einem Urteil: Ein Berichtigungsanspruch wegen offensichtlicher Unrichtigkeit besteht nicht.
Nun kann man das zur Kenntnis nehmen und sich damit beruhigen, dass auch die Richter nur Menschen sind. Selbst wenn sie aus einem gemeinsamen Semester stammen, man in der Studienzeit gemeinsam Sport betrieben hat, durch eine gemeinsame Arbeitsgemeinschaft verbunden ist oder einfach nur denkt, wir haben doch die gleichen Examina gemacht: ein Schelm der Böses dabei denkt, wenn der Richter dem Anwalt bescheinigt, dass er – der ehemalige Kollege - schlecht gearbeitet hat.
Wir sind uns einig, dass es in der Natur des Juristen liegt, über andere zu urteilen – und am liebsten über den (lieben) Kollegen. Allerdings ist die Sache mit dem substantiierten Sachvortrag ziemlich eindeutig, und zwar – und das seit langem - entgegen der allgemein verbreiteten Meinung der Richter an Amts- und Landgerichten: ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (BGH v. 12.7.1984 - VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888 unter II 1a; BGH v. 21.1.1999 - VII ZR 398/97, NJW 1999, 1859 unter II 2 a m.w.N.; BGH v. 1.6.2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710 unter II 2 a; BGH v. 21.5.2007 - II ZR 266/04, NJW-RR 2007, 1409 Rz. 8; BGH v. 12.6.2008 - V ZR 221/07, WPM 2008, 2068 = juris Rz. 6 f.).
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nur aus Gründen der Vollständigkeit soll erwähnt werden, dass entsprechende Grundsätze z.B. auch für die Schadenshöhe aufgestellt worden sind. In seiner Entscheidung vom 14.07.2010 – VIII ZR 45/09 führt der BGH unter Tz. 22 u.a. aus:
„Ebenso wenig hat das Berufungsgericht bedacht, dass bei feststehendem Verlust eines Gegenstandes, für den Ersatz zu leisten ist, mangels näherer Anhaltspunkte ein mittlerer und nicht notwendig der denkbar geringste Wert zu schätzen sein kann (BGH v. 7. Juli 1970 - VI ZR 233/69, NJW 1970, 1970, unter B II 2 b aa m.w.N.). Soweit für die zum Ersatz gestellten gebrauchten Gegenstände kein Markt (mehr) besteht und deshalb kein Marktwert festgestellt werden kann, hätte das Berufungsgericht - und zwar selbst unter Berücksichtigung nicht vorgetragener Tatsachen, willkürlich wäre (BGH v. 24.6.2009 - VIII ZR 332/07, WM 2009, 1811,) - außerdem erwägen müssen, ob der betreffende Schaden nicht durch Ansatz desjenigen Preises zu schätzen ist, der - unter Abzug eines angemessenen Ausgleichs neu für alt - bei der Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzgegenstandes angefallen wäre (vgl. BGHZ 115, 364, 368).“
Ich sehe schon die Kommentare, was ich mir jetzt wieder habe einfallen lassen und: was hat das mit Kollegialität zu tun? (Apropos Kollegialität: als Kölner Rechtsanwalt muss ich morgen einen Gerichtstermin in Landgericht Düsseldorf wahrnehmen – wenn die diesen Artikel lesen …).
Aber gut. Meine Zitate haben nichts mit Kollegialität zu tun. Nichts. Nein. Wirklich nichts. Außer, dass die Kollegen Rechtsanwälte nicht zurückschlagen können. Wir wissen zwar, dass der BGH es anders sieht, so dass wir uns dem vermeintlichen Regress erwehren können. Wir haben aber verloren und die Bescheinigung, dass wir schlecht gearbeitet haben. Für uns ist die Qualität unserer Arbeit ein Akquisitionsmittel. Für den Richter allenfalls Mittel zum Zweck der Beförderung.
Egon Schneider hat einmal in einem unerwartet offenen Beitrag in der ZAP (Nr. 1 vom 9.1.1992) Abbitte bei den Anwälten für das Denken als Richter geleistet. Nachdem er wirklicher Kollege geworden war, hat er zusätzlich in der Zeitschrift für die Anwaltspraxis 1994, 155 formuliert: „Die deutsche Elendsjustiz nimmt immer schärfere Konturen an. Der Niedergang der Rechtsprechung ist flächendeckend. Was mich persönlich am meisten erschüttert, ist der Mangel an Berufsethik und an fachlicher Scham.“
Soweit wäre ich nicht gegangen. Immerhin stehe ich voller Bewunderung vor der Rechtsprechung des VIII. Senats, die mir das Vertrauen zurück gegeben hat, dass das Mietrecht Teil des Schuldrechts ist. Dennoch muss ich feststellen, dass es mir zunehmend schwer fällt, für falsche Urteile Verständnis aufzubringen („Irren ist menschlich“), zumal es fast keine Entscheidung mehr ohne den Schlenker des unsubstantiierten Sachvortrags mehr gibt. Oftmals erwische ich mich bei dem Neid-Gedanken, dass der „Kollege“, der sein Urteil mit den überhöhten Anforderungen an die Substantiierungslast begründet hat, ein freies Wochenende genießt, während ich mir den Kopf zerbreche, was alles noch vorzutragen sein könnte.
Aber klar: ich hätte ja seinerzeit auch dem Anruf aus dem Justizministerium folgen können. Wenn ich unbedingt Anwalt werden wollte ….
Früher habe ich aber auch noch mehr Kollegialität mit den Richtern erfahren. Heute sind Justizfehler – nicht nur in Urteilen, sondern in jeder Form (falsche Ladung, keine Abladung, Schriftsätze nicht übermittelt, lange Wartezeiten bei Terminen etc.) – selbstverständlich. Aber auch ohne Auswirkung für die Täter. Die „Kollegen“ Anwälte baden es dann aus, indem sie ihren Mandanten trotz anderer Erlebnisse das Vertrauen in die Justiz vermitteln.
Ich wünsche jedem Richter ein einziges Telefonat mit einem Mandanten, der die Wege der Justiz nicht nur als Kreuzfahrtschiffer empfindet. Einstweilen würde ich mich freuen, dass wenigstens die Zitate aus diesem Beitrag allen neu eingestellten Richtern durch ihren Diensthernn übermittelt würden.