OLG Hamm: Vollstreckungslösung beim Fahrverbot = nur noch 3 Wochen Fahrverbotsdauer

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 03.05.2011

Interessant: Das OLG Hamm hat in einer aktuellen Entscheidung auf ein Fahrverbot die sogenannte "Vollstreckungslösung" angewendet (OLG Hamm BeckRS 2011, 08608): 


Die Verhängung des Regelfahrverbotes von einem Monat gemäß § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 3 Bußgeldkatalogverordnung erweist sich ebenfalls - grundsätzlich - als rechtsfehlerfrei.

a) Bei dem Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 StVG handelt es sich nach dem gesetzgeberischen Willen in erster Linie um eine Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme, die gleichermaßen eine warnende wie erzieherische Wirkung entfalten soll (vgl. BVerfGE 27, 36, 42). Der Betroffene soll dadurch besonders nachdrücklich dazu angehalten werden, sich künftig verkehrsordnungsgemäß zu verhalten. Zwar kann das Fahrverbot seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und dieser sich in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat (OLG Hamm, VRS 109,118, KG VRS 113,69; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, StVG § 25 Rn. 24 m. w. N.).

b) Wann wegen langer Verfahrensdauer allein oder in der Zusammenschau mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot gerechtfertigt sein kann, ist eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung geht der Senat jedoch davon aus, dass der erzieherische Sinn und Zweck der Maßregel jedenfalls dann zweifelhaft sein kann, wenn der zu ahndende Verkehrsverstoß deutlich mehr als zwei Jahre zurückliegt (z. B. OLG Hamm VRS 109, 118; OLG Köln StrafO 2004, 287 m. w. N.; OLG Rostock ZfS 2001, 383 384; BayObLG NZV 2004, 100, vgl. weiter die Nachweise bei König a. a. O.), wobei grundsätzlich auf den Zeitraum zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung abzustellen ist (Senat, Beschluss vom 28.02.2011, - III-3 RBs 27/11- st. Rspr.; BayObLG NZV 1998, 82 am Ende = DAR 1997, 115; OLG Stuttgart zfs 1998, 194; OLG Hamm DAR 2000, 580f; OLG Brandenburg, NZV 2005, 278f; Schleswig-Holsteinisches OLG, DAR 2000, 584f). Insofern bestehen hier gegen die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbotes keine Bedenken, da die tatrichterliche Verurteilung bereits 19 Monate nach der Tat erfolgt war und damit deutlich unterhalb der 2-Jahresfrist lag.

c) Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass eine erhebliche Verfahrensverzögerung erst im Anschluss an die tatrichterliche Entscheidung vom 25. Januar 2010, die die Verhängung des Fahrverbotes trug, eingetreten ist (Unzulänglichkeiten bei der Rücksendung der Akte an das Oberlandesgericht betreffend den Zeitraum Mai 2010 bis Januar 2011). Zwar ist eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes grundsätzlich nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin zu überprüfen ( OLG Hamm, Beschluss vom 12.12.2008, - 3 Ss OWi 250/08-; Beschluss vom 28.3.2010, - III-3 RBs 28/09). Für Verzögerungen nach Urteilserlass ist ein Eingreifen des Rechtsmittelgerichts von Amts wegen aber dann geboten, wenn der Betroffene diese nicht frist- und formgerecht rügen kann, weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2007 - 2 StR 493/06 - ). So verhält es sich vorliegend. Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist lief nach erneuter Zustellung am 17. Mai 2010 ab. Die Sache ist im Anschluss daran aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat und die sich auch nicht mit Umfang oder Schwierigkeit der Sache rechtfertigen lassen, bis zur Antragsschrift der GStA vom 26. Januar 2011, mithin rund 8 Monate, nicht gefördert worden.

d) Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantiert aber dem Betroffenen auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren, was auch das Recht auf Abschluss des Verfahrens in angemessener Zeit beinhaltet (BVerfG, Beschluss vom 02.07.2003 - 2 BvR 273/03 - m. w. Nachw. (juris), OLG Rostock, StV 2009, 363). Die Dauer des Verfahrens, die dabei noch als angemessen anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Umständen des Einzelfalles (BVerfGE 55, 349, 369). Maßgebliche Kriterien sind der durch die Verfahrensverzögerung verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit der Sache, sowie die mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen Belastungen (BVerfG, a. a. O.; OLG Rostock a. a. O. m. w. N.). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass anders als in Strafverfahren mit der Sanktionierung im Bußgeldverfahren lediglich eine nachdrückliche Pflichtenmahnung bezweckt wird, sodass die Eingriffsintensität einer staatlichen Bestrafung nicht erreicht wird (BVerfGE a. a. O. und 45, 272 288 f.; BVerfG NJW 1992, 2472,2473). Die Annahme einer überlangen Verfahrensdauer liegt nach diesem Maßstab daher nahe, wenn die Verfahrensdauer ein Vielfaches der normalen Verjährungsfrist erreicht (BVerfG, Beschluss vom 2.7.2003, - 2 BvR 273/03 - (juris); vgl. auch OLG Düsseldorf NZV 2008, 534).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ist eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festzustellen. Seit dem verfahrensgegenständlichen Vorfall sind 2 3/4 Jahre verstrichen, mithin das Fünffache der normalen Verjährungsfrist. Spätestens seit seiner ersten Anhörung durch die Verwaltungsbehörde am 25. Juni 2008 sieht sich der Betroffene dem Vorwurf eines Rotlichtverstoßes ausgesetzt. Seit der am 20. August 2008 an ihn erfolgten Zustellung des Bußgeldbescheides vom 30. Juli 2008 weiß er auch, dass ihm deswegen neben einer Geldbuße auch ein Fahrverbot von einem Monat droht. Die erst in der Rechtsbeschwerdeinstanz aufgetretenen und allein von den Justizorganen zu verantwortenden Verzögerungen haben dazu geführt, dass der Betroffene etwa 8 Monate länger als bei regelrechtem Verfahrensgang im Ungewissen geblieben ist, ob und wann es noch zum Vollzug des Fahrverbotes kommt.

Nach der vom Bundesgerichtshof (grundlegend BGHSt 51, 124-148) in Strafsachen entwickelten Vollstreckungslösung wird bei einer festgestellten rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt ausgesprochen. Der Ausgleich für einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot wird dabei aus dem Vorgang der Strafzumessung herausgelöst, bleibt aber Teil des Rechtsfolgenausspruchs im weiteren Sinne. Die notwendige Kompensation für rechtsstaatswidrige Verzögerungen des zugrunde liegenden Verfahrens bildet einen eigenständigen, allein an den Maßstäben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK orientierten Prüfungsvorgang, der Unrecht, Schuld- und Strafhöhe unberührt lässt (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 2 StR 563/10, (juris)). In entsprechender Übertragung dieser Grundsätze auf das Bußgeldverfahren hat sich der Senat in Anwendung von § 79 Abs. 6 OWiG unter Abwägung oben aufgeführter Umstände veranlasst gesehen, das Fahrverbot zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung in der Weise zu reduzieren, dass eine Woche des angeordneten einmonatigen Fahrverbotes als verbüßt gilt.

Eine darüber hinausgehende Kompensation hielt der Senat im Hinblick auf die geringere Eingriffsintensität des Bußgeldverfahrens nicht für erforderlich.

Wer mehr zu dem Thema wissen möchte: § 5 im "Fahrverbot in Bußgeldsachen" oder mein Beitrag "Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als Problem des Bußgeldverfahrens", DAR 2010 Heft 10, S. 612 ff.

Ach so: Tenoriert wird nicht etwa "3 Wochen", sondern sinngemäß 1 Monat Fahrverbot, wobei eine Woche aufgrund der rechtsstaatswidrigen Verfahrensdauer als verbüßt gilt. 

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