NJW-Entscheidung der Woche: Saugen an Brust durch sechsjährigen Sohn keine sexuelle Handlung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 22.01.2010

Die von der NJW-Redaktion für Heft 4/2010 NJW-aktuell S.10 ausgewählte "Entscheidung der Woche" ist eine Diskussion wert. Die Angeklagte wurde am 19. März 2009 vom Amtsgericht Leer wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen nach §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 1 StGB zu einer Gesamtheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die hiergegen von der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen verwarf das Landgericht Aurich mit Urteil vom 21. September 2009.

Was war geschehen? Die Angeklagte hatte es im Jahre 2007 zugelassen, dass ihr damals sechsjährige Sohn mehrmals ihre unkleidete Brust ergriff und an der Brust saugte bzw. leckte, ohne dass dies einem Stillvorgang diente. Die Angeklagte nahm bewusst in Kauf, dass der Sohn ihre Bekleidung hochschob, um an die nackte Brust zu gelangen. Die Angeklagte habe ihn in seiner von ihm ausgehenden Initiative bestärkt, indem sie während des Vorgangs von je etwa 30 Sekunden Dauer ihre Hand zärtlich um den Kopf oder den Rücken des Kindes legte, ohne ihn zurückzuweisen. Als die neunjährige Nichte der Angeklagten sah, wie deren Sohn an der entblößten Brust der Angeklagten saugte, tat die Nichte in mindestens drei Fällen das gleiche.

Das Berufungsgericht sah die Einlassung der Angeklagten, sie habe das Verhalten der Kinder aus Liebe zu ihnen geduldet, als nicht widerlegt an. Soweit die Angeklagte angegeben habe, sie habe nicht gewusst, dass ihre Handlungsweise als Gewährenlassen von körperlichen Kontakten sexueller Natur gewertet werden könne, stand zur Überzeugung des Landgerichts fest, dass sie nach einem Gespräch mit ihrem deutschen Ehemann gewusst habe, dass es in Deutschland nicht normal sei, wenn nicht mehr zu stillende Kinder in der Altersstufe ihres Sohnes an der erogenen Zone einer Brust saugten.

Die Revision der Angeklagten führte zur Aufhebung der Urteile des Amts- und Landgerichts und zum Freispruch der Angeklagten. Der Leitsatz des OLG Oldenburg (Beschluss vom 22. Dezember 2009 - 1 Ss 210/09) lautet: "Lässt eine nicht mehr stillende Frau zu, dass ihr sechsjähriger Sohn - und diesen nachahmend - ihre neunjährige Nichte ihre Brust entkleiden und daran saugen, indem sie während des kurzen Vorgangs ihre Hand zärtlich um den Kopf oder den Rücken des Kindes liegt, ohne es zurückzuweisen, so liegt darin keine sexuelle Handlung."

Einverstanden oder (so das Landgericht) kann das Dulden der Intimitäten im Brustbereich im Laufe der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu einer ungezügelten Sexualisierung des kindlichen Verhaltens führen?

 

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