Was halten Sie denn davon: Verbrechensstadtpläne für jedes Wohnviertel?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 15.02.2009

Was würden Sie denn davon halten, wenn auf dem Internet-Seiten der jeweiligen Polizeistationen künftig  "Verbrechensstadtpläne" für jedes Wohnviertel und jeden Stadtbezirk zu finden wären, auf denen die Häufigkeit und die Orte von Straftaten wie Einbruch und Diebstahl, von "Fahrzeugschäden" und von sonstigen gewalttätigen oder "unsozialen" Vorkommnissen zu finden wären nebst einer statistischen Einordnung des jeweiligen Viertels mit Informationen, ob die Kriminalitätsrate steigt oder fällt?

Das ist keine fiktive Frage, sondern in Großbritannien bald Realität: Die britischen Polizeibehörden wollen künftighin Verbrechensstadtpläne wie eingangs geschildert in das Internet einstellen.

Repräsentanten der britischen Schutzpolizei äußerten sich besorgt darüber, dass künftig Kriminellen diese Daten bei der Planung von Einbrüchen oder Raubzügen von Nutzen sein könnten. Besorgt äußerte sich auch das Königliche Institut der eingetragenen Makler: Die Kriminaldaten könnten die Häuserpreise in bestimmten Wohngebieten unter Druck setzen.

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11 Kommentare

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Es wird vermutlich "Wanderungen" noch verstärken, d.h. eine Ghettoisierung in der einen ("Arme") oder der anderen Richtung ("Reiche"). Das Einzige was man dagegen tun kann, ist dann in den "Problemgebiete" besonders viel Polizisten hinzustellen, um früh gegenzusteuern. ("Broken Windows" Theorie, "Zero Tolerance" Strategie) Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Polizei sich so verhält, dass ihr eigener Ruf nicht noch schlechter wird, siehe Ihr eigener Beitrag+Kommentare von vor ein paar Tagen.

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Das war ja eine rasche Antwort! Ich sehe das genauso und war deshalb umso erstaunter als ich die Meldung las.

Allerdings sind die Verhältnisse in Großbritannien anders als bei uns: Dort ist die Ghettobildung in den Ballungszentren schon viel weiter fortgeschritten wie bei uns und man erhofft sich wohl dadurch mehr "Schutz" - die Verbrechensstadtpläne werden allerdings die Entwicklung der Ghettobildung - wie von Ihnen angesprochen - noch beschleunigen.

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So einen "Kriminalitätsatlas" habe ich bereits für Berlin im Netz gesehen; er beschränkt sich aber auf Bezirke bzw. (größere) Bezirksteile. Ist durchaus interessant für Ortsfremde, gibt aber in dieser Grobheit auch keine neuen Erkenntnisse (Körperverletzung & Raub eher in sozialen Brennpunkten, Fahrzeugdiebstahl & Wohnungseinbruch eher in den teureren Gegenden).

Wenn man das jetzt wirklich straßenweise/quartiersweise abbilden möchte, stell ich mir natürlich - wie Sie - die Frage, ob das nicht sehr gefährlich für die Anwohnerschaft sein könnte. Denn so macht man ja erst recht lukrative Gebiete sichtbar (wertvolle Fahrzeuge, betuchte Anwohner). Es geht ja hier nicht nur um spekulative Wertverluste am Eigentum, sondern direkt um mögliche nicht unerhebliche Straftaten durch Einbrüche, Entführungen, usw. Allerdings muss man wohl auch zugeben, dass es diese Straftaten schon vorher gab und wenn man zB Berlin als Maßstab nimmt, wohl auch jeder halbwegs Einheimischer die Ecken mit überdurchschnittlich vermögendender Kundschaft kennt. Google Earth & Co. haben ihren Teil dazu auch noch beigetragen.

Übrigens: Schon heute veröffentlichen viele Ämter Kartenmaterial Umweltdaten und Sozialdaten. Dass dadurch nachhaltig Wertverluste eingetreten sind, ist mir nicht bekannt geworden.

Interessant wird so ein Stadtplan natürlich erst dann, wenn er zum Einen aktuell ist (quartalsweise Daten?) und zum Anderen bei einer vergleichenden Darstellung über einen längeren Zeitraum enthält. Das könnte auch die Polizeiarbeit leichter für den Bürger kontrollierbar machen und etwa auch Defizite in der Kriminalitätsbekämpfung deutlicher hervorheben.

Eine andere Frage ist natürlich auch, welche Straftaten dort angezeigt werden sollen. Bei Diebstahl, Betrug & Co. (ca. 50 % der angezeigten Straftaten wenn ich mich recht entsinne) ist das unproblematisch. Aber wie schaut es bei den spezielleren wie etwa Vergewaltigung, Kindesmißbrauch oder Mißhandlung Schutzbefohlenen aus? Sind dort nicht schnell Rückschlüsse zu ziehen bei einem zu kleinen Verbreitungsgebiet?

Bei einer ortsgebunden Verbreitungskarte stellt sich am Ende auch die Frage, wie es nun mit den vielen Begehungsformen ausschaut, die sich nicht zwingend auf einen bestimmten Tatort beziehen, zB bei der sog. Internetkriminalität oder aber auch bei "alten" Kriminalität. Stellt man dann auf den Wohnort des Täters ab, wenn es mehrere Tatorte gibt?

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Für mich ist die Frage schon falsch gestellt, denn man muss die (hypothetische) Gesamtsituation betrachten:

1) Mit Streetview fahre ich virtuell Strassenzüge ab und sehe mir alles im Detail an, auch ohne dort zu sein
2) Mit Google Earth sehe ich mir die Situation von oben an und sehe selbst in befriedete Gärten
3) Mit den entsprechenden Angeboten der öffentlichen Hand sehe ich mir die Wahlergebnisse der jeweiligen Bezirke an
4) Dann die Idee: Ich sehe mir in den entsprechenden Bezirken auch noch die Kriminalitätsstatistik an
5) Weitergedacht: Dazu kommt dann ein System wie Rottenneighbour nachdem es über 1-2 Jahre von Anwohnern intensiv "gepflegt" wurde

So sähe das Bild erstmal aus, dabei gehe ich noch nicht einmal auf die vor mir erwähnte Publikation von Sozialdaten ein oder die (aber nicht frei verfügbaren) Daten zur Zahlungsfähigkeit ganzer Wohnviertel.

Wer eine Wertung ziehen möchte, sollte daher das Gesamtbild bedenken und dann Position beziehen. Meine sollte klar sein.

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Ich halte eine solche Einteilung eher für gefährlich als für nützlich. Damit können Kriminelle ihre Taten doch wesentlich besser planen, etwa nach "reicheren" Gegenden.

Ebenso halte ich es für die Bewohner der bisher eher "unberührten" Gegenden für bedenklich: Wenn dort bisher keine Kriminalität existierte, ist es für die Täter doch ein potentielles Gebiet. Insbesondere, wenn eine Abwanderung in die weniger angegriffenen Gebiete stattfindet- der Beginn einer Bildung von Ghettos.

Selbstverständlich verschafft bereits Google Earth einen gewissen Einblick in lukrative Gebiete. Aber wenn man einen Verbechensstadtplan veröffentlicht, so finde ich, dass man dieser Bewegung nicht gerade entgegensteuert.

Dass ein solcher Plan für die Polizei auch einen Vorteil bieten kann, möchte ich nicht bestreiten: Die Verbrecher werden u.U. in den entsprechenden Gebieten "gewarnt" ("Wir wissen, welche Verbrechen hier begangen werden.") und dadurch in diesen möglicherweise davon abgehalten, dort weiterzumachen. Allerdings eben nur dort.

Im Endeffekt sind solche Pläne für die Polizei (und nur diese) äußerst sinnvoll, wenn dadurch Polizeistreifen in den betroffenen Gebieten erhöht werden, und die anderen wenigstens überwacht werden. Für die Veröffentlichung sind diese, zumindest meiner Meinung nach, ungeeignet.

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Einbrüche sind nur ein Teil der Kriminalität. Andere sind Autodiebstahl, Raub, Schlägereien etc. also eher "Strassenbezogen". Ich bin auch nicht sicher, ob es sich lohnen würde, in reichen Gegenden einzubrechen. Die Häuser dort sind besser gesichert, und die Strassen ruhiger. Viele Kriminelle würden da sofort auffallen, durch "falsches" Auto, "falsche" Kleidung, "falsche" Frisur, etc.

Durch die öffentliche Klassifizierung (egal ob durch Polizei oder durch Google oder irgendein Anbieter) wird ein Trend verstärkt, den es schon seit Jahren in den USA gibt und dank Schröder/Hartz auch bei uns, nämlich dass die Schere zwischen arm und reich sich verstärkt, und dass der Mittelstand schwindet. Das wird böse enden :-(

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Nein Herr Ferner, mir ist es nicht ganz klar.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mit Ihre Wertung darstellen.

Beste Grüße

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Verehrte Mitdiskutanten,

mittels google-earth- mashups in den USA sind solche Daten schon anzeigbar - also die Verknüpfung von crime stats mit einzelnen Regionen und Nachbarschaften, ebenfalls die (nach unseren Vorstellungen "merkwürdige") Möglichkeit, sich Adressen von vorbestraften Sexualstraftätern anzeigen zu lassen.
Ob und welche Folgen das hat, lässt sich schwer abschätzen. Viele Ideen im internet hören sich zunächst bahnbrechend (im positiven wie im negativen Sinne) an, verlieren aber recht bald ihre Anziehungskraft. Ich schätze, dass auch diese Idee der britischen Polizei messbar weder die erhofften noch die befürchteten Wirkungen haben wird.

Ein Problem ist natürlich, wie die polizeiliche Kriminalstatistik zustande kommt. Wer auch nur die leiseste Ahnung hat, weiß, dass dies keineswegs Daten zur begangenen "Kriminalität" sind. Zudem müssten natürlich (und ich wette, das wird nicht geschehen) die absoluten Deliktszahlen mit der Bevölkerungsdichte im jeweiligen Bezirk in Beziehung gesetzt werden, um ein realistisches "Opferrisiko" abzubilden.

Interessant wäre es natürlich, wenn auch Wirtschaftsstraftaten und Steuerhinterzeihung (möglichst jeweils mit Schadenshöhe) abgebildet würden sowie natürlich auch Amtsdelikte, aber darauf können wir wahrscheinlich sehr sehr lange warten.

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Je länger ich über den Aufbau dieser Stadtpläne nachdenke, desto mehr frage ich mich, woher man die Grundlage für diese Pläne nehmen soll.

Wie Herr Prof. Dr. Müller bemerkt hat (an dieser Stelle einen Dank für den Verweis auf die PKS, was mir vorher nicht so klar war) ist die PKS eher problematisch. Wenn ich mich recht entsinne, gründet die PKS nur auf der Kriminalität, von der die Polizei Kenntnis erlangt hat. Damit bestünde doch die Möglichkeit, dass auch in anderen Gebieten Kriminalität herrscht, aber diese der Polizei einfach nicht bekannt ist, damit also im Dunkelfeld liegt. Aber damit wird doch der Verbrechensstadtplan verfälscht, oder liege ich da falsch?

Gleichzeitig frage ich mich, warum nur Diebstähle, Einbrüche und Sachbeschädigungen von den Plänen erfasst werden sollen. Wenn man schon Verbrechensstadtpläne aufstellt, könnte man doch zugleich andere Straftaten mit aufnehmen.

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Sehr geehrter Herr Pflichtfeld ;-),

ohne hier den Inhalt einer Vorlesungsdoppelstunde ausbreiten zu wollen, nur so viel: Die PKS bildet, wie Frau Kroher schon angedeutet hat, nur die der Polizei bekanntgewordenen Fälle ab. Das darüber hinaus gehende "Dunkelfeld" bleibt, wie schon der Name andeutet, im Dunkeln, kann also auch nicht auf den Stadtplänen erscheinen. Welcher Anteil der gesamten Kriminalität in der PKS erfasst ist, ist von Delikt zu Delikt unterschiedlich. Die polizeiliche Tätigkeit selbst kann dies nur zu einem geringen Teil beeinflussen, weil die meisten Delikte in der PKS (ca. 90 %) durch Strafanzeigen der Bürger (meistens Opfer) in die Statistik gelangen. Ob Anzeige erstattet wird, ist aber von vielen Faktoren abhängig, die wiederum von Delikt zu Delikt unterschiedliches Gewicht haben und auch von Region zu Region voneinander abweichen.
Will man Vermutungen anstellen, kann man annehmen, dass die Statistik bei Wohnungseinbrüchen den tatsächlich begangenen Delikten noch am ehesten entspricht; schon bei Fahrzeugbeschädigungen trifft dies nicht mehr zu (hier wird fast nur angezeigt, wenn es sich um vollkaskoversicherte Fahrzeuge handelt), bei Körperverletzungen ist die Anzeigehäufigkeit höchst unbestimmt, bei Vergewaltigung, Kindesmisshandlung und überhaupt Straftaten im häuslichen Umfeld höchstwahrscheinlich sehr gering, so dass die Polizeiliche Statistik und ihre jährlichen Veränderungen fast unbrauchbar sind.

Beste Grüße
Henning Ernst Müller

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