Verstoßen Altersgrenzen in Tarifverträgen gegen das Verbot der Altersdiskriminierung?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 05.02.2009

Das ArbG Hamburg hat dem EuGH mit Beschluss vom 20.1.2009 (21 Ca 235/08) vier Fragen betreffend die Wirksamkeit tarifvertraglicher Altersgrenzen vorgelegt. Das Gericht hat trotz - oder gerade wegen - der Äußerungen des EuGH in der Rechtssache "Palacios de la Villa" (Urt. vom 16.10.2007 - C-411/05, NZA 2007, 1219) Zweifel, ob die in einem Arbeits- oder Tarifvertrag vorgesehene "Zwangspensionierung" mit Vollendung des 65. Lebensjahres mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (Art. 1 RL 2000/78/EG) vereinbar ist. Insbesondere will das Gericht im Hinblick auf das genannte Urteil wissen, ob Altersgrenzen auch dann wirksam sind, wenn sie seit Jahrzehnten ständig angewendet werden, gleichgültig, wie die jeweilige wirtschaftliche, soziale, demographische Situation und die konkrete Arbeitsmarktlage war. Das ArbG Hamburg fragt daher:

1. Sind nach Inkrafttreten des AGG kollektivrechtliche Regelungen, die nach dem Merkmal Alter differenzieren, mit dem Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000“ vereinbar, ohne dass das AGG dies (wie früher in § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG) ausdrücklich gestattet?

2. Verstößt eine innerstaatliche Regelung, die dem Staat, den Tarifvertragsparteien und den Parteien eines einzelnen Arbeitsvertrags erlaubt, eine automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu einem bestimmten festgelegten Lebensalter (hier: Vollendung des 65. Lebensjahres) zu regeln, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000“, wenn in dem Mitgliedstaat seit Jahrzehnten ständig entsprechende Klauseln auf die Arbeitsverhältnisse fast aller Arbeitnehmer angewendet werden, gleichgültig, wie die jeweilige wirtschaftliche, soziale, demographische Situation und die konkrete Arbeitsmarktlage war?

3. Verstößt ein Tarifvertrag, der es dem Arbeitgeber erlaubt, Arbeitsverhältnisse zu einem bestimmten festgelegten Lebensalter (hier: Vollendung des 65. Lebensjahres) zu beenden, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000“, wenn in dem Mitgliedstaat seit Jahrzehnten ständig entsprechende Klauseln auf die Arbeitsverhältnisse fast aller Arbeitnehmer angewendet werden, gleichgültig, wie die jeweilige wirtschaftliche, soziale und demographische Situation und die konkrete Arbeitsmarktlage ist?

4. Verstößt der Staat, der der einen Tarifvertrag, der es dem Arbeitgeber erlaubt, Arbeitsverhältnisse zu einem bestimmten festgelegten Lebensalter (hier: Vollendung des 65. Lebensjahres) zu beenden, für allgemeinverbindlich erklärt und diese Allgemeinverbindlichkeit aufrecht erhält, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000“, wenn dies unabhängig von der jeweils konkreten wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Situation und unabhängig von der konkreten Arbeitsmarktlage erfolgt?

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3 Kommentare

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Eine Vorlage, die ein etwas ungutes Gefühl hinterlässt.

In der Palacios-Entscheidung hatte der EuGH die Vereinbarkeit tariflicher Altersgrenzen mit der Richtlinie 2000/78/EG grundsätzlich bejaht - freilich unter bestimmten Voraussetzungen, weshalb das Urteil durchaus Interpretationsspielräume ließ.
Dann kam die Entscheidung des BAG vom 18.6.2008 (7 AZR 116/07, NZA 2008,1302 ), in dem das BAG die Vereinbarkeit tariflicher Altersgrenzen mit der Richtlinie 2000/78/EG mit ausführlicher Begründung bejaht hatte, auch mit Blick auf die Palacios-Entscheidung. Die Entscheidung betraf denselben - allgemeinverbindlichen - § 19 RTV für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung, um dem es auch in der Entscheidung des ArbG Hamburg geht. Diese Entscheidung wird vom ArbG seitenweise zitiert, die inhaltliche Auseinandersetzung fällt aber recht knapp aus. Das ArbG hat Zweifel ob dem BAG gefolgt werden kann, und begründet diese Zweifel vor allem mit dem zwischenzeitlichen In-Kraft-Treten des AGG. Eine Differenzierung, die nicht recht einleuchtet: eine eventuelle Unvereinbarkeit des § 19 RTV mit dem AGG würde keine Vorlage an den EuGH rechtfertigen.

Das ArbG hätte die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität des § 19 RTV mit guten Gründen als geklärt ansehen können. Und wenn es doch Zweifel hatte, hätte es auch dann nicht vorlegen müssen, sondern die Vorlage der letzten Instanz (LAG oder BAG) überlassen können. Aber das Arbeitsgericht hat sich dafür entschieden, selbst vorzulegen.

Das ist prozessrechtlich nicht zu beanstanden. Ein wenig auffällig ist der Fall aber auch deswegen, weil die Parallelen zur Vorlage im Fall Draehmpaehl (ArbG Hamburg, 22.5.1995 - 21 Ca 7/95) unübersehbar sind. Derselbe Klägervertreter (RA Bertelsmann), der mit europarechtlich gefärbter Argumentation gegen eine Rechtsvorschrift kämpft. Und dieselbe (21.) Kammer des ArbG Hamburg, die die Zweifel aufgreift und zum Gegenstand einer Vorlage an den EuGH macht.
Im Fall Draehmpaehl wurde der Gesetzgeber letztlich zur Korrektur von § 611a BGB gezwungen. Mal sehen, ob dieser Vorlage ein ähnlicher Erfolg beschieden sein wird.

Jedenfalls ist unübersehbar, dass die Vorlage an den EuGH in manchen Fällen von den Gerichten unterer Instanzen gern genutzt wird, um nationale höchstrichterliche Rechtsprechung und/oder Gesetzgebung, die man rechtlich für falsch hält, zu kippen (s. auch die Fälle Junk, Mangold und Schultz-Hoff, es gibt weitere). Ob das wirklich der Zweck des Art. 234 EG ist?

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Bei bejahender Antwort des EuGH wäre die Sache doch vor allem für die Gewerkschaften peinlich, die gerne gegen Diskriminierung wettern, selbst aber diskriminierende Tarifverträge abschließen.

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Die Entscheidung kann mit Spannung erwartet werden, spielte doch jahrzehntelang in Deutschland das Gleichheitsrecht bei Altersgrenzen keine nennenswerte Rolle. Nach Inkrafttreten des AGG ist jedoch Art. 12 GG nicht mehr als alleiniger Beurteilungsmaßstab geeignet - erfreulich daher, dass das Thema (trotz der EuGH-Rechtsprechung) weiter an Fahrt gewinnt.

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