Militärtribunale in Guantanamo verfassungswidrig

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 13.06.2008

Urteil gilt als schwere Niederlage für Bush

Das Oberste Gericht in Washington hat am Donnerstag entschieden, dass auch im "Krieg gegen den Terror" festgenommene und in Guantanamo auf Kuba inhaftierte Gefangene das von der Verfassung garantierte Habeas-Corpus-Recht haben, ihre Haftgründe von einem zivilen amerikanischen Bundesgericht überprüfen zu lassen. Das Urteil gilt als schwere Niederlage für den amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der am Donnerstagabend während seines Besuchs in Rom erklärte, er werde die Entscheidung respektieren, auch wenn er die Meinung des Gerichts nicht teile. Die Regierung hatte vor dem Urteil den Standpunkt vertreten, sie könne feindliche Kämpfer ohne Anklage für die Dauer eines Konflikts festhalten, um die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zu schützen. Im Fall des "Kriegs gegen den Terror" könne das Generationen dauern.

Knappe 4:5 Entscheidung

Für die Richtermehrheit schrieb der liberale Richter Anthony Kennedy in der Urteilsbegründung, "die Gesetze und die Verfassung sind so ausgelegt, dass sie auch in außergewöhnlichen Zeiten überleben und in Kraft bleiben." Für die mit 4:5 Stimmen unterlegene konservative Minderheit erklärte Richter Antonin Scalia , dass "die Nation den Tag erleben wird, an dem wir diese Entscheidung des Gerichts bereuen werden." Das Land befinde sich im Krieg gegen radikale Islamisten; die Entscheidung des Obersten Gerichts erschwere die Kriegsführung.

Anwälte der Guantanamo-Häftlinge triumphieren

Die Anwälte der Guantanamo-Häftlinge sehen nach dem Urteil eine völlig neue Rechtslage: Das Oberste Gericht habe den gesamten rechtlichen Rahmen auf den Kopf gestellt. Es habe nicht funktioniert, die Anwendung der Verfassung zu umgehen.

McCain und Obama für Schließung des Lagers

Sowohl John McCain als auch Barack Obama haben sich für die Schließung des Lagers Guantanamo ausgesprochen.

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5 Kommentare

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Für die Gefangenen ist trotz der Entscheidung keine schnelle Lösung in Sicht. Siehe hierzu u.a. die Washington Post heute: "The Guantanamo decision will create headaches for the federal courts. The process of granting hearings to the detainees will be messy, imperfect and at times frustrating."

Siehe: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2008/06/12/AR200806...

Grüsse aus Washington

Axel Spies

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Natürlich ist die Entscheidung höchst erfreulich. Ich denke aber, dass Guantanamo nur der für alle offensichtliche Teil der häßlichen Kriegsführung der USA war. Man sieht da jetzt halt zu, dass das Land gsäubert wird von "Schmutzflecken".

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Interessant ist m.E. vor allem die starke dissenting opinion. Antonin Scalia sieht keine Zuständigkeit des Supreme Courts militärische Entscheidungen der Exekutive in Kriegszeiten zu überprüfen (siehe http://legaltimes.typepad.com/blt/2008/06/dramatic-day-at.html). In Anbetracht der Bedeutung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, das auch im gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen verankert ist und die USA als Vertragsstaat bindet (siehe auch Hamdan v. Rumsfeld, 548 U.S. 557), stellt sich die Frage, wie diese Feststellung in nationalem und internationalem Recht verankert werden soll. Aus völkerrechtlicher Perspektive wecken solche Aussagen für mich Erinnerungen an den (historischen) Rechtfertigungsgrund der Notwendigkeit. Im Hinblick auf das nationale Recht frage ich mich, ob die betroffenen Richter hier eine grundsätzliche Bereitschaft erkennen lassen, in Kriegszeiten grundlegende Verfassungsgarantien außer Kraft zu setzen. Hier wird v.a. auch zu sehen sein, ob an den entsprechenden Stellen der dissenting opinion auf die extraterritoriale Situation des verhandelten Falles Bezug genommen wird.

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Prof. Dr. Claus Kreß, Ordinarius für ausländisches und internationales Strafrecht an der Universität zu Köln, warnt in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL Nr. 25 vom 16.06.2008 S. 110/111 davor, an das Urteil zu große Erwartungen zu knüpfen. Allerdings erweitere es im bedeutsamen Umfang die Überprüfungsmöglichkeiten der Inhaftierten, ob ihnen die Freiheit rechtmäßig entzogen wurde. Ob eine Präventivhaft zulässig ist, lasse das Urteil offen. Dementsprechend treffe das Urteil auch keine Aussage dazu, ob es sich bei den Angehörigen der Al Qaida um "irreguläre feindliche Kombattanten" handle, wie es die US-Regierung annimmt. Auch nach diesem Urteil bleibe die ebenso schwierige wie brisante Frage unbeantwortet, wie ein transnationaler Konflikt eines Staates mit einer nichtstaatlichen Terrororganisation zu qualifizieren ist und ob die bisherigen völkerrechtlichen Kategorien ausreichen, um zu einer sachlich befriedigenden Lösung zu kommen.

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