"Rechtsprechung kontrovers" - Vortrag von Negativtatsachen bei der revisionsrechtlichen Verfahrensrüge?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 14.05.2008

In der aktuellen NStZ diskutieren kontrovers Rechtsanwalt Klaus-Ulrich Ventzke, Hamburg, und VRiLG Dr. Andreas Mosbacher, Berlin, die Frage, ob von der Verpflichtung zum Vortrag von "Negativtatsachen", heißt: potentiell rügevernichtender Geschehensabläufe, der 2. Strafsenat des BGH in seinem in NStZ 2007, 717 veröffentlichten Beschluss vom 8.8.2007 abgerückt ist.

Der Entscheidung liegt eine typische Konstellation der auf § 247 StPO gestützten Abwesenheitsverhandlung zu Grunde: Der Angeklagte war für die Dauer der Vernehmung einer Zeugin von der Hauptverhandlung ausgeschlossen worden. Während ihrer Aussage fertigte die Zeugen eine Skizze, die sogleich in Augenschein genommen wurde. Die Rüge, das LG habe die von der Zeugin gefertigte Skizze nicht in Abwesenheit des Angeklagten in Augenschein nehmen dürfen, hatte entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts Erfolg, obwohl er Revisionsführer nicht vorgetragen hatte, dass keine Heilung des Verfahrensfehlers durch eine Wiederholung der Augenscheins Einnahme in Anwesenheit des Angeklagten erfolgt ist. Ohne weitere Begründung heißt es: "zur ordnungsgemäßen Rügeerhebung gehört hier allein der Vortrag der Tatsache, die den Verfahrensfehler belegen. Dass dieser nicht in weiteren Verfahren geheilt worden ist, muss hingegen nicht dargelegt werden, wenn dies tatsächlich nicht geschehen ist."

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2 Kommentare

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Die diskutierte Entscheidung ist grundsätzlich erfreulich, weil sie sich gegen den "Trend" stellt, § 344 II 2 StPO immer ausufernder zu einer Beschränkung der Erfolgsaussichten der Revision durch die Revisionsgerichte im Einzelfall zu nutzen. Die Frage, ob eine Revisionsbegründungsschrift den Anforderungen der genannten Vorschrift entspricht, wird von Fall zu Fall so unterschiedlich beantwortet, dass es eigentlich nicht mehr prognostizierbar erscheint, ob ein Vorbringen in concreto ausreichend erscheint. Den revisionsführenden Angeklagten selbst, die sich im Strafrechtsprozess stets in einer hochbelastenden, lebensverändernden Situation befinden, ist dies alles ohnehin nicht mehr zu erklären. So sehr der Entscheidung also zuzustimmen ist, so richtig ist leider Ventzkes Sorge aufgrund der fehlenden Begründung: Aufgrund der derzeitigen Tendenz, das erfolgreiche Einlegen einer Revision eher zu erschweren, als zu erleichtern, (Stichwort "Rügeverkümmerung") wird der Beschluß mE eine Eintagsfliege bleiben. Ventzke selbst hat die angesprochende Entwicklung als "Projekt schützende Hand" treffend beschrieben (HRRS 2008, 180 ff.).

Die differenzierte Sicht Mosbachers ist - soweit sie dem Beschluß zustimmt - zu begrüßen. Widerspruch fordert aber die These heraus, § 344 II 2 StPO erfordere aufgrund seiner ratio den Vortrag aller für die "Beruhensprüfung" erforderlichen Tatsachen selbst im Fall des § 338 StPO, wenn das Verfahren dafür Anlaß biete (unter Bezugnahme auf BGH NStZ 2003, 320, 321; Urt. v. 4. 12. 2007 - 5 StR 404/07). Eine solches "ausnahmsweises" Annahmen eines Nichtberuhen kann im Fall des § 338 StPO nicht denkbar sein, dieses Vorgehen ist schlich contra legem ("ist stets als beruhend anzusehen"). Ob sich die Überlegungen Mosbachers zur Frage der Negativtatsachen ansonsten durchhalten lassen, steht auf einem anderen Blatt.

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Zu wenig beachtet ist bislang möglicherweise geblieben, dass die von Herrn Ventzke zu Recht aus Art. 19 IV GG gewonnenen verfassungsrechtlichen Argumente für eine Absenkung der Anforderungen an den Revisionsvortrag nach § 344 II 2 StPO an dem Geburtsfehler leiden, dass das BVerfG in seiner eigenen Rechtsprechung zu den §§ 23 I 2, 93 BVerfGG der fachgerichtlichen Rechtsprechung vergleichbare Anforderungen stellt. Denn: das BVerfG orientiert sich bei der Ausgestaltung der Begründungspflichten bei Verfassungsbeschwerden aus dem Strafrecht im Einzelfall an denen der strafrechtlichen Revision. Es bestehen umfängliche Konvergenzen (ausführlich dazu Dana Reichart, Beurteilung und Vergleich der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Revision und Verfassungsbeschwerde in Strafsachen, Schriftenreihe des Erlanger Instituts für Anwaltsrecht und Anwaltspraxis, Köln [Heymanns], 2008). Die in manchen Teilen der Begründung vielleicht etwas halbherzige Senatsentscheidung BVerfGE 112, 185 zu § 344 II 2 StPO sollte auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Deshalb sollte man sich aus dieser Region Karlsruhes wohl nicht allzuviele Impulse erhoffen. In der Konsequenz ist eine Politik der kleinen Schritte, die der 2. Senat offenbar verfolgt, wohl derzeit die aussichtsreichste Konzeption, um die Rügeanforderungen (bei Negativtatsachen) wieder etwas näher der gesetzlichen Regelung anzunähern.

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