Kein Ersatzwohnraum in Sicht - Mietverhältnis ist fortzusetzen! Zu LG Berlin, Urt. v. 25.1.2024, 67 S 264/22, BeckRS 2024, 1196

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 20.02.2024

Das Landgericht Berlin (dort ZK 67) hatte über eine Räumungsklage wegen Eigenbedarfs zu entscheiden. Im Ergebnis hat es - trotz bewiesenen Eigenbedarfs - die Räumungsklage abgewiesen und erkannt, dass das Mietverhältnis um zwei Jahre fortzusetzen ist, §§ 574, 574a II BGB.

Das Bemerkenswerte an dieser im Übrigen sehr ausführlich begründeten Entscheidung (gut auch die durchaus umfassende Beweiswürdigung zum Thema Eigenbedarf - auch hier lohnt es sich schon, das Urteil zu lesen) ist, dass die Kammer zu der Frage, ob die Mieter auf dem freien Wohnungsmarkt Ersatzwohnraum wird finden können, ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Der beauftragte Gutachter hat dies verneint. Zudem hat die Kammer eine entsprechend ähnlich endende Auskunft des Bezirksamtes eingeholt.

Die Mieter hatten vorgetragen, 244 Wohnungsbewerbungen über einen Zeitraum von 2,5 Jahren abgegeben zu haben. Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass die Mieter keine konkret vom Vermieter bzw. Dritten angebotene Ersatzwohnung zu Unrecht ausgeschlagen hatten. Auch das "Suchfenster" der Mieter sei nicht zu beanstanden gewesen ("Gemeindegebiet", Zuschnitt der Wohnung usw).

Angesichts aller Umstände hielt die Kammer die Fortsetzung des Mietverhältnisses für 2 Jahre für angemessen. Das Landgericht hat die Miete im Urteilstenor etwas erhöht. Die Revision ist nicht zugelassen worden.

 

Das Urteil ist in verschiedener Hinsicht sehr bemerkenswert. Zum einen ist es beeindruckend, welche Gestaltungsmöglichkeiten das Gesetz dem Gericht im Rahmen des § 574a BGB überlässt - und wie konsequent das Landgericht diese dann auch nutzt, zu Recht auch unter Abwägung der wechselseitigen (übrigens grundrechtsrelevanten!) Interessen der Parteien. Zum anderen: m.E. neu ist der Ansatz, dass die Frage der Prognose des Findens von Ersatzwohnraum nun (auch) einem Sachverständigen überantwortet worden ist, sofern der Vortrag der Mieter hier erheblich ist.  Dies erscheint auch auf den zweiten Blick konsequent, da der Mut der hinreichenden "Gerichtskunde" des § 291 ZPO für diese streitige Tatsache den Gerichten im Regelfall zu Recht fehlen dürfte.  Auf dem Zeitstrahl ist die Einholung eines Gutachtens auch für die Frage des Härtegrundes von großer Bedeutung, führt doch schon das Beauftragen von Sachverständigen bei anderen Härtegründen (Krankheit, Suizidgefahr usw) oft zu massiven Zeitverlusten vor allem zu Lasten von Vermietern. So sehr dies für Vermieter auch "lästig" ist, so richtig ist es angesichts der Grundrechtsrelevanz aller Belagen allemal.

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1 Kommentar

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Dogmatisch konnte und kann ich die Konstruktion der §§ 574, 574a BGB schwer nachvollziehen. Die ausgesprochene Kündigung ist ja nicht unwirksam. Vielmehr beendet diese das Mietverhältnis zum angegebenen Zeitpunkt. Wenn das Gericht nun gem. § 574a Abs.2 S.1 BGB ein Gestaltungsurteil trifft, so kann die Wirkung ja nur darin bestehen, dass eine Art Mietverhältnis, das auch einen Rechtsgrund iSd § 985 BGB bildet, für die ausgesprochene Zeit begründet wird. Die Kündigung und ihre Wirkung bleibt davon unberührt; ihre rechtsvernichtende Wirkung wird geradezu vorausgesetzt.

Wenn aber der alte Rechtsgrundsatz gilt, dass ein Gestaltungsurteil erst mit Rechtskraft Wirkung zeitigt, dann ist es sinnlos ein Mietverhältnis für die nächsten 6 Monate anzuordnen, wenn der Prozess zu diesem Zeitpunkt noch in der Berufung hängt. Eine vorläufige Vollstreckbarkeit gibt es ja bei Gestaltungsurteilen gerade nicht.

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