Feuchtigkeit und bröselnder Putz im Wohnraum : kein Mietmangel, sagt das AG Paderborn (Urt. v. 30.9.2022, 51 C 90/21)

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 24.03.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtMiet- und WEG-Recht1|3195 Aufrufe

Fall: eine Altbauwohnung in einem ca. 1926 errichteten Haus. Im Wohnraum finden sich "hohe Feuchtewerte", wie der vom Gericht beauftragte Sachverständige ermittelte. Der Putz bröselt ab, es finden sich kalzitische Ausblühungen in der Wohnung. Die Mieter lüften ausreichend und regelmäßig. Ursache für die hohe Feuchte ist die Bausubstanz. Die Mieter mindern die Miete und begehren Mängelbeseitigung.

Das Amtsgericht Paderborn (ZMR 2023, 49; IMR 2023, 2225; LSK 2022, 40597) sagt: kein Mangel der Mietsache. Das bauzeittypische Gebäude habe keine Horizontalabdichtung (gehabt), erst 1930 habe es Horizontalsperren gegeben. Wörtlich: "Dass aber in einer Höhe bis zu 1 m bzw. 30 cm der Putz teilweise zerbröselt, beeinträchtigt die Tauglichkeit der Wohnung kaum" (ZMR 2023, 49 (50)). Schimmel sei nicht vorhanden. Die Mieter haben keine Ansprüche auf Mängelbeseitigung bzw. Minderung.

Allein richtig an der Entscheidung ist vielleicht noch, dass das Amtsgericht auf den Standard zur Zeit der Errichtung des Gebäudes abstellt. Sachverständig beraten meint es dann, die ersten Horizontalsperren gegen aufsteigende Feuchte seien erst ab 1930 eingeführt worden: insofern entspreche das Gebäude also dem Standard zur Zeit der Errichtung. In technischer Hinsicht indes erscheint dies bereits fraglich, gab es doch schon ab der Jahrhundertwende für damalige Gebäude eine Art "Dünnbeschichtung", die durchaus einige Jahrzehnte ihre Funktion erfüllte. Keineswegs waren daher die ab 1900 errichteten Gebäude alle sofort klatschnass im Bereich der Außenwände - das wird man allein für venezianische Bauten aus anderen, bekannten  Gründen bejahen können.

Jedenfalls aber im Übrigen ist die Entscheidung zu kritisieren. Zum einen ist klar, dass die dortigen Mieter die nassen Außenwände von Mobiliar freihalten müssen - mit deutlichem Abstand, wollen sie vergammelnde Ledercouche oder schimmelnde Schrankrückwände vermeiden (deutlich: es geht nicht um die Frage des möglicherweise zumutbaren Möbelabstands bei baubedingt trockenen Wänden, BGH NZM 2019, 136, sondern um hier nasse (!) Wände). Schon insofern ist die Wohnung wegen der akuten Schimmelpilzgefahr bei vertragsgemäßer Nutzung mangelhaft. Zum anderen: die Annahme, eine Wohnung mit "zerbröselndem" Wandputz würde die Tauglichkeit einer Wohnung nicht beeinträchtigen, weil man Bilder - und beim Anbringen der Bilder würde man den Putz zum Bröseln bringen, das räumt auch das AG ein - nicht in einer Höhe bis zum 1 m aufhängen würde, ist einfach kaum vertretbar. Nässe in Wänden, die permanent zu einer Beeinträchtigung der Bausubstanz führt, zu kalzitischen Ausblühungen und Putzabplatzungen, mag im Altbaukeller noch irgendwie hinnehmbar sein; in Wohnräumen (!) ist das nicht der Fall. Es gehört schlichtweg zur vertraglich vereinbarten Sollbeschaffenheit, dass Wandputz in Wohnräumen nicht permanent abplatzt. Das ist nicht nur ein optisches, sondern auch ein hygienisches Problem, von möglichen Gesundheitsfolgen nasser Wände für das Raumklima ganz zu Schweigen.

Schließlich: das Amtsgericht missachtet im Ergebnis die Sphären- oder Gefahrkreistheorie. Selbst wenn man dem Amtsgericht folgt, wonach die Nässe weder in die Vermieter- noch in die Mietersphäre fällt, so greift die sog. dritte Stufe der Sphärentheorie: das non liquet. Steht nichts fest, dann haftet der Vermieter. Will man diesen Schluss vermeiden, so würden abbröselnde nasse Wände bei Altbauten der neue Standard werden. Das kann nicht wirklich gewollt sein.

Das Urteil des AG bricht erstmals mit einem Tabu - nasse Wände, deren Ursache in der Vermietersphäre liegen, waren und sind ein Mangel der Mietsache. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich diese Rechtsprechung weiterentwickeln wird. Fest steht jedenfalls, dass das Thema Schimmel und Feuchtigkeit immer wieder neu auflebt, oft auch in sehr überraschender Weise.

 

 

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Nach dieser (engstirnigen) Auffassung einiger Gerichte (auch des BGH) müssten hohe Luftwerte an Asbest, PAKs, PCPs, PCBs oder auch Blei-Trinkwasserrohre in Altbauten von den Bewohnern hingenommen werden.

Ebenso müsste danach Schimmelpilzbefall an Wärmebrücken hingenommen werden, die zumindest das alte Tauwasserkriterium von 1981 einhalten (DIN 4108-3:1981-08), aber nicht das erst 2001 eingeführte Schimmelpilzkriterium (seit DIN 4108-2:2001-03), zur Beurteilung der gemessenen Oberflächentemperaturen.

Wie ist solche Rechtsprechung vereinbar mit dem Recht auf körperlichen Unversehrtheit und Leben? Diese Rechtsgütern sollten Vorrang haben vor dem Bestandsschutz von Gebäuden und Bauteilen.

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