Mittelfinger ist nicht gleich Mittelfinger (LAG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2022 – 3 SA 364/21)

von Martin Biebl, veröffentlicht am 09.02.2023
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtCorona|3801 Aufrufe

Viele von uns werden sich an die Fußballweltmeisterschaft 1994 erinnern. Im dritten Gruppenspiel traf die deutsche Nationalmannschaft damals auf die Elf aus Südkorea und Stefan Effenberg quittierte seine Auswechslung mit dem ausgestreckten Mittelfinger. Effenberg flog tags darauf aus der Mannschaft und musste abreisen. Und auch im Arbeitsverhältnis gehört das Zeigen des Mittelfingers natürlich nicht zum guten Ton. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat jetzt jedoch entschieden, dass die Geste des ausgestreckten Mittelfingers (auch noch in Richtung einer Kamera) nicht zwingend dazu geeignet ist, um einen außerordentlichen Kündigungsgrund zu begründen.

Was war passiert:

Der Arbeitnehmer, ein Flugkapitän, hatte gemeinsam mit weiteren Crewmitgliedern – insoweit unstreitig, weil auf Kamera festgehalten – im Anschluss an einen Flug mit ausgestrecktem Mittelfinger vor der Kamera posiert. Auf dem Foto trugen alle Beteiligten zudem entgegen anderslautenden Vorgaben keine Maske. Dieses Foto kam dem Arbeitgeber in die Hände und der kündigte das Arbeitsverhältnis wegen der beleidigenden Geste des Piloten fristlos.

Der Pilot erhob Kündigungsschutzklage. Gegen das Zeigen des Mittelfingers hatte er wenig Argumente vorzubringen. Jedoch wollte er seine Geste komplett anders verstanden wissen: Er habe nicht seinem Arbeitgeber den Mittelfinger gezeigt, sondern dem Corona-Virus und den Folgen der Pandemie. Corona habe schließlich dazu geführt, dass die Flugzeugbasis der Beklagten geschlossen werden musste und deshalb viele Arbeitsplätze wegfielen. Dieser Argumentation folgte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf und erkannte keinen Grund für die außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 durch das Zeigen des Mittelfingers.

Lesenswert ist auch der Hinweis in der Urteilsbegründung, wonach die Beklagtenseite sprichwörtlich "die Kirche im Dorf lassen" solle: Schließlich hänge in der Firmenzentrale als Kunstobjekt ein Wandfoto einer älteren Dame, die ebenfalls einen ausgestreckten Mittelfinger zeigt. Daraus schloss das Landesarbeitsgericht auf ein recht entspanntes Verhältnis der Beklagten zu entsprechenden Gesten.

Viel Spaß beim Lesen der Entscheidung!

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