"'Negativzinsen' der EZB negieren für den Spareigentümer die Freiheitsfunktion des Geldes"

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 05.07.2021
Rechtsgebiete: Staatsrecht8|4904 Aufrufe

Ein Beitrag von Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a. D. und Autor des Werks "Geld im Sog der Negativzinsen"

Geldwirtschaft ist ein System des Vertrauens. Der Geldeigentümer erwartet, dass er jederzeit den Wert seines Geldes in tatsächliche Wirtschaftsgüter eintauschen, er sein Kapital als Ertragsquelle nutzen, er die im Geld angelegte Gestaltungs- und Ansehensmacht in Anspruch nehmen darf.

Doch diese Selbstverständlichkeit ist in Frage gestellt, wenn die gegenwärtige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank dem Sparer jährlich ein Stück seines Sparvermögens nimmt und die Ertragsfähigkeit dieses Kapitals versiegen lässt. Dieser Eingriff in Finanzmarkt und Geldeigentum betrifft eine Vielzahl privater Haushalte, die als Sparer die Gesetzmäßigkeiten des Finanzmarktes erleben und mittragen. Das politische System muss diesem Zugriff auf das Sparvermögen deshalb besonders sensibel und wehrhaft begegnen.

Der Wert des Geldes hängt von Preisen und Löhnen, Versicherungen und Sozialleistungen, öffentlicher Finanz-, Verschuldungs- und Währungspolitik ab. Der Staat und seine Verfassung können deshalb den Wert des Geldes nicht garantieren. Sie haben jedoch eine eigene Institution zur Sicherung des Wertes von Geldeigentum eingerichtet. Die Zentralbank hat den Auftrag, die Preisstabilität des Geldes zu gewährleisten.

Wenn nun die Europäische Zentralbank mit ihrer Zinspolitik den Sparer hindert, in Freiheit und Vernunft zu sparen, der „Nullzins“ ihm die Ertragsfähigkeit des Sparkapitals nimmt, der „Negativzins“ die gesparte Kapitalsubstanz mindert und der EZB zuführt, so droht aus dem Garanten des stabilen Geldes ein Gegner zu werden.

Die EZB wandelt sich vom Stabilisator des Euro zur Stütze von Staaten, Banken und Unternehmen. Sie betreibt durch Eingriffe in die vom Markt angebotenen Anlageformen Wirtschaftspolitik, stellt so ihre eigenen Rechtsgrundlagen, damit ihre Unabhängigkeit und Existenz, in Frage.

Stabilitätspolitische Lenkung sieht die Menschen in der Anonymität von Gruppen, die man in Schwarmbewegungen durch wirtschaftliche Anreize zu einem bestimmten Verhalten veranlassen kann.

Der einzelne Grundrechtsberechtigte versteht sich aber nicht als Adressat einer Globalsteuerung, sondern als selbstbestimmte Person, die ihr Leben eigenverantwortlich gestaltet. Er beteiligt sich durch Arbeit und Kapitalbildung an der Erwerbswirtschaft, widmet sich aber auch anderen Zielen und Inhalten seines Daseins. Ökonomische Freiheit erlebt er in der Vielfalt von Anlagemöglichkeiten am Kapitalmarkt ebenso wie in der Sicherheit des Sparens mit geringem Risiko und minimalem Erwerbsaufwand.

Wenn eine stabilitätspolitische Intervention ihm sein Sparkapital nimmt und ihn auf andere Ertragsquellen wie Aktien, Fonds oder festverzinsliche Wertpapiere verweist, rechtfertigt sich der Eingriff in das Spareigentum nicht durch diese Alternativen. Wenn ein Berufsanfänger Maurer werden will und der Staat würde ihm das verbieten, wäre die Berufsfreiheit verletzt, auch wenn er stattdessen Schreiner werden kann.

Geld ist „geprägte Freiheit“, bietet die Eintrittskarte, jederzeit am Geldmarkt teilzunehmen, und enthält den Berechtigungsausweis für die Beteiligungssumme. Geld bietet den verlässlichen Vergleichsmaßstab, der jedes Wirtschaftsgut mit einem Preisschild versieht, den Tauschentscheidungen des Marktes und der Anwendung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsmaßstabes eine gediegene Vergleichsgrundlage gibt.

Wenn die EZB aber auf eine jährliche Inflation von zwei Prozent hinwirkt, mindert sie eine Darlehensschuld ohne Tilgung jährlich um zwei Prozent, verringert aber auch den Gläubigeranspruch um den gleichen Wert. Das Handwerk oder die Naturwissenschaft könnten mit einem ähnlich labilen Metermaß nicht arbeiten.

Zinsen sind die Früchte überlassenen Kapitals. Kapital „arbeitet“. Der Spar­zins gibt Kapitalerträge an die große Allgemeinheit privater Haushalte weiter, macht so die Struktur des Ertragskapitals für jedermann verständlich und einsichtig, begründet das Allgemeininteresse an dieser Einkommensquelle.

Wenn nun die Zinspolitik dieses Ertragssparen verhindert, wird ein Großteil der Marktbeteiligten, die ihr Kapital durch Arbeit erwerben, von diesem Markt ausgeschlossen. Sie sind mit dem modernen Finanzmarkt des Risikokapitals nicht vertraut, haben die risikoarme Anlageform gewählt, wollen in dieser Sicherheit ihren Kapitalerträgen keine weitere Zeit und Aufmerksamkeit widmen.

Die EZB gewährleistet in ihrer gegenwärtigen Stabilitätspolitik günstige Kreditbedingungen für Staaten. Die Staaten sind entgegen dem Europarecht und Verfassungsrecht schon vor der Pandemie zu hoch verschuldet, nähern sich für die Zeit nach der Pandemie einer umverteilenden Haftungsgemeinschaft in der Europäischen Union, in der die stabilen Volkswirtschaften die instabilen finanzieren.

Doch das Recht beharrt auf der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Ausweg aus einer Krise nur gefunden werden kann, wenn derjenige, der die Störung verursacht hat, auch für deren Beseitigung einstehen muss.

Die Wirtschaft finanziert den Staat, nicht der Staat die Wirtschaft. In einem freiheitlichen Gemeinwesen verzichtet der Staat strukturell auf eigene Staatsunternehmen, damit auf eigene erwerbswirtschaftliche Erfolge, und finanziert sich durch steuerliche Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens, den dort erzielten Gewinnen und Umsätzen.

Der steuerfinanzierte Staat findet deshalb in der finanziellen Belastbarkeit seiner Bürger eine Grenze für seine Staatsleistungen. Er ist dem Parlament verantwortlich, das Steuern bewilligt und zu Ausgaben ermächtigt, nicht einem Finanzmarkt, dessen Maßstab das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes ist, nicht das Wachstum an Lebensqualität. Je mehr der Staat durch überhöhte Schulden in Abhängigkeit vom Kreditgeber, dem Finanzmarkt, gerät, desto schwächer wird die parlamentarische Demokratie, desto bedeutungsloser das Wahlrecht des Bürgers.

Wenn die EZB mit einer Politik des billigen Geldes – einer extremen Mehrung der Geldsumme – den Finanzmarkt flutet, empfangen Staaten steuerunabhängige Erträge, im Pandemieprogramm nun auch Unternehmen anstrengungsloses Einkommen. Damit wird das Wirtschaftssystem auf den Kopf gestellt.

Der Unternehmer muss dieses Einkommen nicht mehr verdienen, sondern empfängt es bei Wohlverhalten von der EZB. Der Staat muss in seinem Haushalt nicht mehr Staatsleistungen und Steuererträge zum Ausgleich bringen, sondern finanziert sich durch Anleihen, die faktisch keine Zinsen kosten, die Verschuldung eher prämieren, die zur Rückzahlung ohne ernstlichen Rückzahlungswillen verpflichten.

EZB und Schuldnerstaaten entfernen sich von geltendem Recht, wenn Staaten jenseits der rechtlichen Obergrenze der Verschuldung von 60 % des BIP weitere Schulden eingehen, wenn das europäische System der Zentralbanken durch die jeweilige nationale Zentralbank den Staat finanziert, wenn das eherne Prinzip der Finanzautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union von einer eigenständigen Finanzmacht der Union mit eigener Besteuerungs- und Verschuldungskompetenz überlagert werden würde. Die Missachtung des stabilisierenden und mäßigenden Rechts schafft ein Inflations- und Zerstörungspotential, das den Euro gefährdet. Die gegenwärtige Ruhe am Geldmarkt ist trügerisch. Wer im Winter sein Auto auf dem zugefrorenen See parkt, sollte an die Eisschmelze im Frühjahr denken.

Die Begründungen für überhöhte Staatsschulden, die Übermaßprojekte finanzieren sollen, sind vielfältig, widerlegen aber nicht die Einsicht und Tugend verantwortlicher Eltern. Diese bauen ein Elternhaus, das sie später ihren Kindern – unentgeltlich – vererben werden. Sie fordern nicht wegen der zukunftswirksamen „Investitionen“ eine gegenwärtige Mitfinanzierung durch ihre Kinder, sondern verstehen den Generationenvertrag als Weitergabe aller – ideellen wie wirtschaftlichen – Werte von der Großelterngeneration auf die Elterngeneration und von dieser auf die Kindergeneration jeweils nach den Regeln des Erbrechts. Die Eltern wirtschaften für ihren eigenen Erfolg und freuen sich, diesen an ihre Kinder weitergeben zu können.

Wenn in diesem Umbruch von Geld, Kredit und Zins die EZB das Sparen missbilligt und den Missbilligungstatbestand mit einer Geldsanktion verknüpft, steht ein solcher Eingriff in die Eigentümerfreiheit des Sparers allenfalls dem Parlament, nicht einer unabhängigen Zentralbank zu, die ihre Stabilitätspolitik mit den Instrumentarien lenkender Entscheidungsimpulse – der Leit-Zinsen –, nicht faktischer Entscheidungsverbote betreiben soll.

Der Sparer ist durch die europäische Zinspolitik in seinen Grundrechten, insbesondere der Eigentumsgarantie und dem Gleichheitssatz, betroffen. Das Spar­eigentum wird vom Grundgesetz als eine konkrete, individuelle Rechtsposition gegen den Zugriff Dritter abgeschirmt. Es sichert einen Freiraum ökonomischer Entfaltung. Inhalt dieser Eigentümerfreiheit ist insbesondere das Recht, sein Eigentum in der Substanz der eingebrachten Sparsumme für die zukünftige Verwendung aufzubewahren und als Ertragsquelle zu nutzen.

Wenn die EZB mit ihrer Nullzinspolitik die nach den Bedingungen grundrechtlicher Freiheit erschlossene Ertragsquelle des Spareigentums zum Versiegen bringt, verändert sie nicht die allgemeinen Erwerbschancen des Sparers, sondern nimmt dem Spareigentum die verfassungsrechtlich gewährleistete Nutzbarkeit des Privateigentums.

Wäre der Sparer ein Winzer, erzielte er Gewinn und Umsatz, wenn Käufer den angebotenen Wein erwerben. Diese Erwerbschancen hängen von der Freiheit der Nachfrager und der Offenheit des Marktes ab, können rechtlich nicht garantiert werden. Würde die EZB jedoch alle seine Rebstöcke so zuschneiden, dass Trauben nicht mehr wachsen, den Winzer also von seinen Kunden und seinem Markt fernhalten, hätte sie nicht seine Erwerbschancen verändert, sondern die Nutzbarkeit seines Betriebes zerstört. Würde die EZB darauf hinweisen, der Winzer möge doch eine Brauerei gründen oder Fruchtsäfte produzieren, so rechtfertigten diese Alternativen die Eigentumsverletzung nicht.

Wenn die EZB erwartet, dass die Geschäftsbanken eine Einlagelast („Negativzins“) an ihre Kunden weiterreichen, darf die Bank diese Last in ihren Verträgen vereinbaren. Für die EZB aber gilt diese Vertragsfreiheit nicht. Sie entzieht mit dem „Negativzins“ dem Geldeigentümer als freiheitsverpflichtetes Unionsorgan Eigentumssubstanz und gewinnt einen entsprechenden Eigentumszuwachs. Ein solcher Eingriff wäre nur bei einem entsprechenden Geldausgleich zulässig. Ein Ausgleich von Geld gegen Geld aber hebt sich auf. Die EZB muss einen solchen Eingriff unterlassen. Der „Negativzins“ bedroht Sparer und Banken substantiell.

Die EZB ist eine besondere Institution der Gleichheitsgewähr. Gleichheit wird grundsätzlich als Gleichheit „vor dem Gesetz“ durch das Parlament garantiert, ist in dem Stabilisierungsauftrag für den Euro aber der Zentralbank mit ihrem exklusiven Sachverstand für die Stabilisierungspolitik und einer entsprechenden Unabhängigkeitsgarantie vorbehalten. Diese Gleichheit des Geldwertes eröffnet eine Vergleichsperspektive von größter Allgemeinheit. Euro ist gleich Euro. Jeder Euro-Eigentümer hat einen Anspruch auf den gleichen Geldwert, die gleiche Sicherheit im Geld. Der Sparer darf nicht mit einem „Negativzins“ belastet werden, wie der Aktionär nicht mit einer „Negativdividende“ beeinträchtigt werden dürfte. Die Missbilligung des Sparens bedarf einer stabilitätspolitischen Rechtfertigung.

Das Sparen darf nicht als Anlageform für die Bevölkerung mit kleinem Vermögen gegenüber der Aktie und der Immobilie als Anlageform für Personen mit höherem Geldeigentum benachteiligt werden. Eine das Sparen sanktionierende Stabilitätspolitik verletzt auch die Regeln der Kapitalbildung nach Marktbedingungen. Ein stabiles allgemeines Geld gibt allen Marktteilnehmern eine gleiche Wirtschaftsgrundlage. Der Markt behindert nicht bestimmte Sparformen.

„Negativzinsen“ der EZB negieren für den Spareigentümer die Freiheitsfunktion des Geldes, die ihm die Summe des gesparten Geldes und dessen Nutzbarkeit als Ertragsquelle sichert, und die Gleichheitsgewähr, die einem allgemeinen Geldwert eigen ist. Die Geldwirtschaft und die ökonomische Freiheit jedes Menschen brauchen Kapitalerträge, setzen auf ein Sparpotenzial, das Unternehmen zur Investition und damit zu höherem wirtschaftlichen Erfolg überlassen wird und den Sparer an dieser Kapitalnutzung beteiligt.

Mein Buch "Geld im Sog der Negativzinsen" wendet sich vor allem an Regierung und Parlament, deren Integrationsverantwortung besonders gefordert ist, wenn die Europäische Union nach eigenständiger Finanzmacht strebt. Es sucht in dieser Strukturdebatte, die eine Verfassungsdebatte sein muss, die Faszination des Europagedankens in der Sicherheit von Recht und Geld neu zu entfalten. Der Negativzins darf nicht zu einem Dauerzustand werden.

Dieser Text ist das Vorwort von "Geld im Sogen der Negativzinsen".

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8 Kommentare

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"Ökonomische Freiheit erlebt er in der Vielfalt von Anlagemöglichkeiten am Kapitalmarkt ebenso wie in der Sicherheit des Sparens mit geringem Risiko und minimalem Erwerbsaufwand."

Ist das Sparbuch etwas anderes, als eine Anlagemöglichkeit am Kapitalmarkt? So oder so gibt man sein Geld jemandem (Bank, Fondsbetreiber, Unternehmen oder sonstigem Finanzjongleur) in der Erwartung, dass dieser es besser als man selbst nutzen kann und einem später mehr zurückzahlt.

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Kirchhof hat gerade mit der gleichen Zielrichtung ein Gutachten für die Sparda-Bank verfasst, vgl. hier. Ich zweifle sehr, ob seine bezahlten verfassungsrechtlichen Ergebnisse dem wahren Verfassungsrecht entsprechen. Ein Grundrecht auf Zinsen bzw. gegen Geldentwertung kann ich jedenfalls beim Bundesverfassungsgericht bisher nicht finden, so schön das auch für uns einfache Sparer wäre.

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"Das Sparen darf nicht als Anlageform für die Bevölkerung mit kleinem Vermögen gegenüber der Aktie und der Immobilie als Anlageform für Personen mit höherem Geldeigentum benachteiligt werden."

Vermögende Gesellschaftsschichten gegen solche ohne/ mit geringem Vermögen gegeneinander so abzugrenzen halte ich für falsch und nicht zutreffend. Schon seit mehreren Jahren stehen fast alle Instrumente des Kapitalmarktes auch "kleineren" Anlegern (zB. ab einem Anlagebetrag von 25€) zu sehr geringen Kosten zur Verfügung. Fintechs und moderne Technologie haben einen großen Fortschritt hin zu gleichem Zugang zu solchen Märkten ermöglicht. Natürlich darf am Ende jeder selbst entscheiden, wie viel Risiko (und damit verbunden die erwartete Rendite) er eingehen möchte. Wenn man sich also selbst gegen Asset-Klassen wie Aktien und Immobilien entscheided ist das keine Benachteiligung, sondern die eigene Entscheidung über sein Kapital frei zu verfügen. 

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Kämen die Äußerungen allein von einem Ökonomen, könnte ich das noch verstehen. Dass ein ehemaliger Verfassungsrechtler so einen Unsinn schreibt, finde ich bedenklich. Aber wenn er sich aber von einer Bank vor den Karren hat spannen lassen, wie der zweite Kommentator ausführt, verwundert das nicht.

Als persönlich betroffener Sparer hätte ich auch gerne die Sicherheit hoher Zinsen auf einem Sparbuch, aber das führt nicht dazu, dass ich solchem populistischen Unsinn zustimmen kann. Zinsen sind weder ein Menschen- noch ein Grundrecht. Sie haben sich im Großteil der Welt durchgesetzt (z.B. im Islam hingegen galten und gelten sie tw. immer noch z.B. als verboten) , aber allein ein rein faktische Praxis oder entsprechende Erwartungshaltung führen nicht dazu, dass etwas zu einem Recht erstarkt. Sonst würde das konstante Ignorieren irgendwelcher Verbote ja auch dazu führen, dass diese nicht mehr gelten. Insbesondere sind Zinsen rechtlich keine Voraussetzung für einen demokratischen Rechtsstaat, sondern sie sorgen nur dafür, dass eine Praxis die es quasi "schon immer" gab, fortgesetzt wird. Da gehen natürlich die Geschäftsmodelle der Finanzindustrie flöten, aber das ist nun mal dem Wandel der Zeit geschuldet. Genauso wie heute die wertvollsten Unternehmen der Welt irgendwelche "Datenkraken" sind, die im Prinzip durch "Datendiebstahl", gegen den man weitgehend machtlos ist, Vermögen erwirtschaften. Während man gegen diese Praxis aber noch rechtlich vorgehen könnte, sind der Erhalt des status quo bzw. die Rückkehr zum "Früher" im Finanzbereich jedenfalls kein rechtliches Thema. Da muss vielmehr die Finanzwirtschaft - wie viele andere Branchen in anderen Bereichen auch - einsehen, dass der Wandel der Zeit, wenn er zu Nachteilen für eine Branche führt, nicht einfach durch ein Gericht außer Kraft gesetzt werden kann. Natürlich hat das Thema leider auch gravierende Auswirkungen auf die staatlichen Finanzeinahmen und die privaten Sparer. Aber das ändert nichts daran, dass das kein Rechtsthema ist und irgendwelche populistischen Versuche, Gerichte oder den Gesetzgeber zu irgendetwas zu drängen, dies letztlich globale Thematik nicht lösen. Und das Vorgehen der Banken, mit "Negativzinsen" zu profitieren, obwohl die Situation der Geldhäuser im Hinblick auf die Finanzpolitik der EZB nicht ansatzweise so dramatisch ist, wie die Geldhäuser behaupten, ist derart billig und unseriös, dass es wirklich bedenklich ist, wenn sich jmd. wie Kirchhof für entsprechende Gutachten hergibt. Aber wer weiß, vielleicht geht er ja als Entdecker des Grundrechts "angemessene Zinsen" in die (Rechts)Geschichte ein.

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Eigentlich wäre es anständig, wenn Kirchof in seinem Vorwort auf seine eigenen finanziellen Interessen an dieser Sache im Hinblick auf sein Gutachten hinweisen würde. Dann wüßte man gleich, woran man ist, auch wenn man die Zeitung nicht gelesen hat.

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Unabhängig davon, von wem der Autor für das Gutachten bezahlt wurde, darf mann doch die Frage stellen, ob eine auf Geldwertstabilität verfplichtete EZB wirklich die Märkt zur Befeuerung der Inflation derart mit Geld fluten und den Kapitalmarkt auf den Kopf stellen darf mit der Folge, dass sich Schuldner gesund verschulden und Sparer nicht wissen, wohin mit dem Geld. Der Hinweis auf Aktien und Immobilieb ist wohlfeil. Denn platzt die Blase, heißt es: der böse Sparer war gierig!

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Jochen Wieland, Negativzinsen als Eigentumseingriff?, widerspricht im Verfassungsblog vom 24.8.2021 der Ansicht Kirchhofs:

"Das Grundgesetz kennt kein Grundrecht auf eine Mindestverzinsung von Spareinlagen oder gar auf attraktive Zinsen für Einlagen bei Geldinstituten. Dementsprechend war unter Berücksichtigung der Inflationsrate ein Sparkonto auch in der Vergangenheit schon oft ein schlechtes Geschäft. Eine schlechte Anlageentscheidung ist aber kein Eingriff in das Eigentum von Sparerinnen und Sparern."

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Martin Hellwig, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre widerspricht in der FAZ vom 3.9.2021 der Ansicht Kirchhofs:

Ich halte die These von der Enteignung der Sparer durch die EZB für irreführend und für ordnungspolitisch gefährlich. [...] Die These ist irreführend, weil sie dem Sachverhalt nicht gerecht wird. Sie ist gefährlich, weil sie für Sparer Ansprüche suggeriert, die mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht vereinbar sind.

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