Fernabsatzvertrag mit Anwälten oder bei Widerruf kein Honorar? Zur Beweislast bei § 312c BGB

von Prof. Dr. Katrin Blasek, LL.M., veröffentlicht am 08.12.2020

Rechtsanwälte machen sich zunehmend moderne Technik zunutze und bieten Ihre Leistungen „über´s Netz“ an. Das nahm im folgenden Fall für die betroffene Kanzlei kein gutes Ende, da der BGH einen Fernabsatzvertrag bejahte, der Vertrag widerrufen wurde und mangels entsprechender Belehrung kein Honoraranspruch bestand.

Was war passiert?

Die Beklagte ist eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in Köln und Kontaktstellen in Frankfurt am Main, Hamburg und München. Der Kläger ist Student. Er klagte zunächst selbst gegen einen Notenbescheid. Der AStA stellte den Kontakt zwischen den Parteien her und nach einer telefonischen Beratung unterschrieb der Kläger eine schriftliche Honorarvereinbarung und zahlte einen Vorschuss. Die gesamte Kommunikation zwischen den Parteien verlief elektronisch oder per Telefon. Nach Ende Mandats verlangte die Beklagte das restliche Honorar. Der Kläger widerrief den Anwaltsvertrag binnen 12 Monaten und 14 Tagen. Da er über sein Widerrufsrecht nicht belehrt worden sei und verlangte er die Rückzahlung des geleisteten Vorschusses.

Der BGH: (Urteil v. 19.11.2020, Az. IX ZR 133/19)
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Ge...

Nicht neu ist, dass Anwaltsverträge Dienstleistungsverträge im Sinne von § 312 I BGB sind. (Rdn. 9)  

Unter den in § 312c genannten Voraussetzungen sind sie auch Fernabsatzverträge, was dem beteiligten Verbraucher (hier Student/Kläger) ein Widerrufsrecht beschert (§ 312g I, 355 BGB).

  • Ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln?

Rdn. 10: „Nach dem unstreitigen Sachvortrag haben die Parteien bis zum Abschluss der Honorarvereinbarung nur telefonisch und durch E-Mails miteinander in Kontakt gestanden, so dass dahinstehen kann, ob der Vertrag bereits bei der Erstberatung oder erst mit Abschluss der Honorarvereinbarung zustande kam.“
 

  • Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems?

Prinzipiell sei die Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt:

Rdn. 16: „Unter welchen Voraussetzungen bei einem Anwaltsvertrag der Ab-schluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt, ist noch nicht abschließend geklärt. Der Bundes-gerichtshof hat bislang offengelassen, welche (Mindest-)Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind (BGH, Urteil vom 23. November 2017 – IX ZR 204/16, ZIP 2018, 279 Rn. 20).“

Beweislast beim Unternehmer/Rechtsanwaltskanzlei:

Rdn. 17: „Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Ver-wendung von Fernkommunikationsmitteln im Sinne des § 312c Abs. 2 BGB ab-geschlossen hat, muss darlegen und beweisen, in welcher Form er seine Rechts-anwaltskanzlei im Hinblick auf Verhandlungen und Abschluss eines Anwaltsvertrags organisiert hat. Dabei muss er in erster Linie darlegen und beweisen, dass die für ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem sprechenden Indizien in seinem Fall keinen Rückschluss darauf zulassen, dass seine Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet ist, Verträge im Rahmen eines solchen Systems zu bewältigen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2017, aaO Rn. 20 f).“

Solche Indizien, die die Beklagte nicht widerlegt habe, sah der BGH in Folgendem (Rdn. 18 f.):

  1. Spezialisierung auf ein bestimmtes Rechtsgebiet (Hochschul- und Prüfungsrecht)
  1. Deutschland-weite Vertretung in diesem Gebiet
  1. Internetauftritt der Beklagten:
    Hinweis auf jederzeitige telefonische und elektronische Verfügbarkeit (unter „Kontakt“) und Arbeitsfähigkeit dank moderner Technik auch ohne Ortsbezug (unter Mandatserteilung“)
  1. Anzahl der Neuanfragen im Verhältnis zur Kanzleigröße:

Rdn.19: „Angesichts von bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland bei nur einem Hauptsitz und drei weiteren Kontaktstellen sprechen dieseIndizieninihrerGesamtheitdafür,dassdieBeklagteihreAnwaltskanzleidaraufeingerichtethat,dassjederzeitundwiederholtVertragsschlüsse ohne gleichzeitige persönliche Anwesenheit der Parteien in großer Zahl möglichsind,ohne dassdieBeklagte hierzubesondereMaßnahmenergreifen müsste.“

 

  • Mangels Widerrufsbelehrung lange Widerrufsfrist und kein Honoraranspruch:

Rdn. 22: „Die Widerrufsfrist des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB hat nicht zu laufen begonnen, weil die Beklagte ihren Informationspflichten nach § 356 Abs. 3 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB nicht nachgekommen ist. Insbesondere hat sie den Kläger nicht über sein Widerrufsrecht belehrt. Das Widerrufsrecht ist schließlich nicht nach § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB erloschen, weil der Kläger den Widerruf innerhalb von weniger als zwölf Monaten und 14 Tagen erklärt hat.“
 

Rdn. 23: „Der Beklagten steht kein Anspruch auf restliches Anwaltshonorar zu, nachdem die Parteien aufgrund des Widerrufs nicht mehr an den Anwaltsvertrag gebunden sind. Ebensowenig besteht ein Anspruch auf Wertersatz nach § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB, weil die Beklagte den Kläger nicht ausreichend belehrt hat (§ 357 Abs. 8 Satz 2 BGB).“

 

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