Aufgepasst mit gravierenden Geschwindigkeitsverstößen im Ausland: Freiheitsstrafe aus schweizerischem Strafurteil wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen von noch 12 Monaten darf in Deutschland vollstreckt werden

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 28.04.2018
Rechtsgebiete: StrafrechtVerkehrsstrafrecht1|4111 Aufrufe

Der heute 43 Jahre alte, im Kreis Ludwigsburg wohnhafte Verurteilte wurde am 20.02.2017 durch das Geschworenengericht des Kantons Tessin wegen "Gefährdung des Lebens und wiederholter grober qualifizierter Verletzung der Verkehrsregeln" rechtskräftig zu der Freiheitsstrafe von 30 Monaten unter Abzug der erlittenen Untersuchungshaft verurteilt. Hiervon wurde ein "bedingter Strafvollzug von 18 Monaten in einer Probezeit von drei Jahren gewährt". Der Rest der Strafe ist nach dem schweizerischen Urteil zu verbüßen.

Dem in Abwesenheit ergangenen Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 14.07.2014 fuhr der Verurteilte mit seinem BMW Z4 bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 135 km/h durch den Gotthard-Tunnel und überholte bei zehn Überholmanöver insgesamt 15 Fahrzeuge. Zu weiteren fünf Überholmanöver kam es kurz darauf im Piottino-Tunnel. Mit einer Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h fuhr er – trotz des Tempolimits von 120 km/h auf schweizerischen Autobahnen – weiter, auch um der Polizei, die seine Verfolgung aufgenommen hatte, zu entkommen. Zu diesem Sachverhalt kamen drei weitere erhebliche Geschwindigkeitsverstöße am 12.07.2014 auf schweizerischen Autobahnen hinzu.

Da der Verurteilte seinen Wohnsitz in Deutschland hat, stellte das Schweizerische Bundesamt für Justiz bei den deutschen Behörden den Antrag, die Strafe gegen den deutschen Staatsangehörigen in Deutschland zu vollstrecken. Das Landgericht Stuttgart lehnte dies mit Beschluss vom 15.03.2018 ab, weil das fragliche Verhalten in Deutschland nur als Ordnungswidrigkeit zu werten sei, wegen der nur eine Geldbuße verhängt werden könne. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr sei im Hinblick darauf unverhältnismäßig. Die Vollstreckung des in der Schweiz ergangenen Urteils widerspreche wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das OLG Stuttgart am 25.04.2018 – 1 Ws 23/18  – diesen Beschluss auf und erkärte die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten in der Bundesrepublik Deutschland für zulässig erklärt Gegen die Entscheidung des OLG ist kein weiteres Rechtsmittel möglich.

Zu den wesentlichen Entscheidungsgründen: Der Vollstreckung stehe nicht entgegen, dass das schweizerische Urteil in Abwesenheit ergangen sei. Denn der Verurteilte habe Kenntnis vom Verfahren gehabt und habe vom schweizerischen Gericht Ladungen unter Hinweis auf die Folgen seines Nichterscheinens erhalten. Dennoch habe er unentschuldigt bei Gericht gefehlt. Ein Pflichtverteidiger des Verurteilten habe an den Verhandlungen in der Schweiz teilgenommen und einen Schlussvortrag für den Verurteilten gehalten. Es sei somit nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen worden.

Weiter verweist der Senat auf den eindeutigen Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG, wonach auch dann eine im Ausland verhängte Freiheitsstrafe in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden kann, wenn hier aufgrund des geahndeten Verhaltens nur Ordnungswidrigkeiten vorliegen. Es komme dabei auf die beiderseitige Sanktionierbarkeit, nicht auf die beiderseitige Strafbarkeit an.

Die Vollstreckbarerklärung sei auch nicht unverhältnismäßig, da im Hinblick auf das festgestellte Verhalten des Verurteilten eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten möglicherweise zwar als hart angesehen werden könne, jedenfalls aber nicht als "unerträglich und in keiner Weise vertretbar" zu beurteilen sei. Auch liege kein Verstoß gegen den deutschen "ordre public" und die wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung vor. Hierfür spreche im Übrigen bereits, dass der deutsche Gesetzgeber mit Wirkung zum 13.10.2017 in Deutschland § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB eingeführt habe, der die Nachstellung eines Autorennens in der Absicht der Erreichung einer höchstmöglichen Geschwindigkeit durch (auch nur) eine einzelne Person nunmehr ebenfalls unter Strafe stelle.

Die Übernahme der Vollstreckung der vom schweizerischen Gericht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von weiteren achtzehn Monaten hat das OLG für unzulässig erklärt, da die Übernahme der Bewährungsaufsicht bei einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe vom IRG hier nicht vorgesehen sei.

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Es gibt Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen. Entsprechend gibt es auch - wenn auch nur theoretisch - Gerichtsentscheidungen, die Zweifel an der Eignung zum Richteramt begründen. Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist so eine Entscheidung.

Das ist harter Tobak. Ich weiß. Es macht mir auch kein Vergnügen so gegen verdiente Richter am OLG zu wettern. Damit macht man sich in der Regel nur unbeliebt. Wenn der Senat aber die Verurteilung eines Angeklagten zur Freiheitsstrafe in Abwesenheit mit der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip wie selbstverständlich für vereinbar hält, dann rüttelt er an so fundamentalen und unverzichtbaren Prinzipien eines rechtsstaatlichen Verfahrens so heftig, dass er zwingend Fragen zur rechtsstaatlichen Gesinnung und dem Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit aufwirft. Wie kann ein deutscher Richter nur eine so grob fehlerhafte Entscheidung treffen? Ich kann mir das nicht erklären und hoffe darauf, dass mir jemand im Blog dabei helfen kann, so dass ich mich in meiner Meinung wenigstens etwas zurücknehmen kann.

Wenn man schon im Laufe der Jahre das komplette Ausbildungswissen ausgeblendet hat, es gibt doch zahlreiche Entscheidungen des BVerfG, in denen man doch auch später nachlesen kann, dass die Verurteilung in Abwesenheit mit der Menschenwürde und mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar ist. Und selbst wenn man keine Lust zum Nachlesen hat, kann man als Richter nicht selber darauf kommen, zumindest zweifeln und sich fragen, wie war das nochmal, wenn jemand zum Objekt des Verfahrens gemacht wird und das mit dem Schuldprinzip?

Es kommt nicht oft vor, dass die Aussichten für eine Verfassungsbeschwerde so gut wären wie gegen den Beschluss des OLG Stuttgart.

 

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