Kartellrechtlicher Wassereinbruch in der öffentlichen Wasserversorgung

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 30.01.2012

Der Bundesgerichtshof hat durch Beschluss vom 18.10.2011, im Internet veröffentlicht am 27.01.2012 klargestellt, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Trinkwasser auf der Grundlage eines Anschluss- und Benutzungszwangs und einer Gebührensatzung liefert, ein Unternehmen im Sinne der Vorschrift über die Auskunftspflichten gegenüber den Kartellbehörden ist (§ 59 Abs. 1 GWB).

Worum ging es?

Das Bundeskartellamt führt ein Verfahren gegen die Berliner Wasserbetriebe (A.ö.R.) wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise. Das betroffene Unternehmen ist zwar öffentlich-rechtlich organisiert; die Leistungsbeziehung zu den Kunden ist aber privatrechtlich ausgestaltet. Wie bei solchen Missbrauchsverfahren üblich, möchte das Bundeskartellamt den Vorwurf des Preismissbrauchs anhand des Vergleichsmarktskonzepts belegen und hatte daher Auskunftsbeschlüsse gegen Trinkwasserversorger erlassen, darunter den Niederbarnimer Wasser- und Abwasserzweckverband, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (also öffentlich-rechtliche Organisationsform), die aber keine privatrechtlichen Entgelte verlangt, sondern Gebühren auf der Grundlage einer Gebührensatzung und zu deren Gunsten ein Anschluss- und Benutzungszwang satzungsrechtlich vorgesehen war. Der Zweckverband hatte sich beim Oberlandesgericht im einstweiligen Rechtsschutz erfolgreich gegen den Auskunftsbeschluss gewehrt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet und war davon ausgegangen, dass der Wasserverband kein Unternehmen im Sinne der Vorschrift sei.

Der Bundesgerichtshof sieht dies nun anders und stellt klar, dass die öffentliche Hand, sogar wenn sie in den Formen des öffentlichen Rechts handelt, Unternehmen im Sinne der Auskunftsverpflichtung des § 59 GWB sein kann. Offen gelassen hat der Bundesgerichtshof allerdings, ob eine Anwendung der Missbrauchsvorschrift des § 19 GWB auf solchermaßen organisierte öffentliche Unternehmen in Betracht kommt. Der Bundesgerichtshof verweist insoweit auf seine frühere Rechtsprechung, nach der bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung der Leistungsbeziehung eine Anwendung des Kartellrechts grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Allerdings weist der Bundesgerichtshof auch ausdrücklich darauf hin, dass offen sei und offen bleiben könne, ob dies auch gelten kann, wenn die öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Ausgestaltung der Leistungsbeziehung weitgehend austauschbar sind. Von einer solchen Austauschbarkeit geht der Bundesgerichtshof für den Fall der Wasserversorgung wohl aus. Dies hat für die Wasserwirtschaft große Bedeutung. Wegen der in der letzten Zeit verstärkten Wasserpreismissbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden war verschiedentlich eine "Flucht ins öffentliche Recht" propagiert worden. Das Bundeskartellamt ist der Auffassung, dass es für die Anwendung der Missbrauchsvorschriften auf die Form der Ausgestaltung der Leistungsbeziehung zwischen Wasserversorger und Kunden nicht ankommen könne, und hat im laufenden Verfahren zur Änderung des GWB (8. GWB-Novelle) eine gesetzgeberische Klarstellung gefordert. Für die Wasserwirtschaft könnten sich mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs also die dunklen Wolken einer Sturmflut ankündigen.

Wie begründete der Bundesgerichtshof die Anwendung des § 59 GWB auf den Niederbarnimer Wasserverband?

Der Bundesgerichtshof stellt auf den Sinn und Zweck des § 59 Abs. 1 GWB ab und legt danach auch den Unternehmensbegriff dieser Vorschrift aus. Es gehe nicht um die Prüfung der Angemessenheit von Wasserpreisen, sondern darum, dass die Kartellbehörden Aufschluss über die Erlöse und Kosten von Wasserversorgern erhielten und hier insbesondere solchen mit öffentlich-rechtlicher Organisationsform. Ein Aspekt scheinen für den Bundesgerichtshof auch die Folgen einer solchen Interpretation gewesen zu sein. So hebt er hervor, dass die öffentlich-rechtliche Tätigkeit durch die Auskunftsverpflichtung nicht beeinträchtigt werde.

FAZIT:Die "Flucht ins öffentliche Recht" schützt nicht vor kartellrechtlichen Auskunftsverpflichtungen. Ob sie vor der Anwendung des materiell-rechtlichen Kartellrechts schützt, bleibt vorerst offen.

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