EGMR bestätigt BGH und BVerfG: GPS-Überwachung bei strafrechtlichen Ermittlungen zulässig

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 05.09.2010

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 02.09.2010 (Az.: 35623/05) – wie SPIEGEL ONLINE berichtet – in Übereinstimmung mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BGH NJW 2001, 1658 und des BVerfG NJW 2005, 1338 entschieden: Bei strafrechtlichen Ermittlungen dürfen Verdächtige heimlich mit satellitengestützten Überwachungstechniken (GPS) überwacht werden. Die Beschwerde eines ehemaligen Mitglieds der linksextremistischen «Antiimperialistischen Zelle» (AIZ) ist jetzt auch vor dem EGMR erfolglos geblieben . Der heute 44-Jährige hatte zuvor schon das BVerfG angerufen, das seine Beschwerde gegen den GPS-Einsatz im Jahr 2005 abgewiesen hatte (vgl. NJW 2005, 1338).

Der EGMR sah den Beschwerdeführer weder in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) noch in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) verletzt. Die Überwachung habe weitere Bombenanschläge verhindern sollen und sei damit im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit erfolgt. Auch sollte sie Verbrechen vorbeugen und mögliche Opfer schützen. Das GPS-Gerät sei auch erst eingesetzt worden, nachdem andere Ermittlungsmethoden ergebnislos verlaufen seien. Schließlich habe die satellitengestützte Überwachung auch nur drei Monate gedauert.

Zum Hintergrund des rechtlichen Problems

Nach § 100c Abs. 1 Nr.1 lit.b StPO dürfen ohne Wissen des Betroffenen sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters verwendet werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist, und wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert werde.

Das BVerfG hatte zu entscheiden, ob § 100c Abs. 1 Nr.1 lit.b StPO in Verfassung rechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit einer strafprozessualen Eingriffsnorm gerecht wird und auch im Übrigen verfassungsgemäß ist. Die Frage stellt sich im Hinblick auf Überwachung mit GPS, da die Norm keine ausdrückliche Regelung diesbezüglich enthält. GPS ist ein satellitengestütztes Ortungssystem, durch das Bewegungen und Standzeiten eines Fahrzeugs bis auf 50 m genau lückenlos nachvollzogen werden können, ohne das Wort- und Bildaufzeichnungen erfolgen.

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) hatte Anfang des Jahres 2008 in Erwägung gezogen, bestimmte entlassene Sexualstraftäter, sobald technisch möglich, elektronisch per GPS-System, z.B. mittels eines elektronischen Armbands, in dem das Navigationssystem GPS installiert ist, überwachen zu lassen.

BGH, Urteil vom 24.1.2001 – 3 StR 324/00 - NJW 2001, 1658:

1. Die Beweisgewinnung unter Verwendung des satellitengestützten Navigationssystems „Global Positioning System” („GPS”) ist von § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit.b StPO gedeckt. Diese Vorschrift gestattet den Strafverfolgungsbehörden im Wege der Annexkompetenz unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch die Vornahme der für den Einsatz des technischen Mittels notwendigen Begleitmaßnahmen.

2. Trifft der Einsatz des „GPS” mit anderen je für sich zulässigen Eingriffsmaßnahmen zusammen und führt dies zu einer umfassenden Überwachung der Person, so kann das gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Bei der insoweit erforderlichen Abwägung kommt dem Gewicht der aufzuklärenden Straftat besondere Bedeutung zu.

3. Werden für längerfristige Observationen technische Mittel i.S. des § 100c Abs. 1Nr. 1 lit.b StPO verwendet, so sind zusätzlich die Anordnungsvoraussetzungen des § 163f StPO zu beachten. Bis zum In-Kraft-Treten dieser Vorschrift (1. 11. 2000) bestand keine richterliche Anordnungskompetenz.

 

BVerfG Urteil vom 12.4.2005 - 2 BvR 581/01 – NJW 2005, 1338

1. § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b StPO entspricht als Ermächtigungsgrundlage für Beweiserhebungen unter Einsatz des Global Positioning System (GPS) und die anschließende Verwertung dieser Beweise den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

2. Beim Einsatz moderner, insbesondere dem Betroffenen verborgener, Ermittlungsmethoden müssen die Strafverfolgungsbehörden mit Rücksicht auf das dem „additiven” Grundrechtseingriff innewohnende Gefährdungspotenzial besondere Anforderungen an das Verfahren beachten.

3. Wegen des schnellen und für den Grundrechtsschutz riskanten informationstechnischen Wandels muss der Gesetzgeber die technischen Entwicklungen aufmerksam beobachten und notfalls durch ergänzende Rechtssetzung korrigierend eingreifen. Dies betrifft auch die Frage, ob die bestehenden verfahrensrechtlichen Vorkehrungen angesichts zukünftiger Entwicklungen geeignet sind, den Grundrechtsschutz effektiv zu sichern und unkoordinierte Ermittlungsmaßnahmen verschiedener Behörden verlässlich zu verhindern.

 

 

 

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