Personalkostensenkung durch Flucht aus dem Tarifvertrag?

von Dr. Ulrike Unger, veröffentlicht am 02.01.2009

Von Rechtsanwalt Dr. Marko Loose, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH München

 

Das Thema Kostensenkung im Unternehmen ist derzeit in aller Munde. Insbesondere die Personalkosten für Vergütungen sind in den Fokus der unternehmensinternen Einsparer geraten. Nicht jedes aus Sicht des Unternehmens wünschenswerte Mittel ist auch mit geltendem Recht in Einklang zu bringen. Zudem birgt die „unerlaubte Verkürzung“ der Gehälter Haftungsrisiken sowohl für das Unternehmen als auch die Geschäftleiter in sich. Denkbare Haftungstatbestände sind das nicht rechtzeitigen Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen §§ 266 a StGB i.V.m. § 823 Absatz 2 BGB und § 28 e SGB IV sowie die Haftung für zu gering abgeführte Lohnsteuer gem. § 42 d Absatz 1 EStG. Tarifgebundene Unternehmen versuchen, Einsparungen bei den Gehältern der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer durch einen Austritt aus dem Arbeitgeberverband herbeiführen. Jedoch ist der Austritt allein noch kein Freibrief für eine „Gehaltskürzung“. Tarifverträge gelten trotz Verbandsaustritt bis zu deren Ende gem. § 3 Absatz 3 TVG zwingend fort. Zudem entfalten die Rechtsnormen des Tarifvertrages „Nachwirkung“, d.h. sie gelten insoweit fort, als sie nicht durch eine andere Vereinbarung im Nachhinein ersetzt werden, § 4 Absatz 5 TVG. Weder der Verbandsaustritt noch das Ende des Tarifvertrages führen damit zu einem automatischen Wiederaufleben der ggf. „schlechteren“ Arbeitsbedingungen der Arbeitsverträge. Zudem finden sich in den Arbeitsverträgen der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer oft sog. dynamische Verweisungsklauseln, mit denen die Anwendbarkeit der Bestimmungen des jeweils geltenden Tarifvertrages vereinbart wird. Frühere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sahen in dieser Bezugnahmeklausel eine Gleichstellungsabrede mit tarifgebundenen Arbeitnehmern (vgl. z.B. BAG NZA 2002, 634). Sobald das Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband austrat, wandelte sich die Bezugnahmeklausel in eine statische Verweisung, d.h. es galten die Arbeitsbedingungen der zum Zeitpunkt des Verbandsaustritts anwendbaren Tarifverträge. Neue Tarifabschlüsse wurden von dieser Verweisung nicht mehr erfasst. Die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. NZA 2006, 607) legt jedoch solche Bezugnahmeklauseln dahin aus, dass sie im Zweifel auch künftige Änderungen des Tarifvertrages mit einbeziehen, auch wenn das Unternehmen selbst nicht mehr tarifgebunden ist. Die Konsequenz daraus ist, dass Bezugnahmeklauseln, die nicht ausdrücklich auf zeitlich bestimmte Fassungen der Tarifverträge Bezug nehmen und nicht ausdrücklich an das Ende der arbeitgeberseitigen Tarifbindung anknüpfen, im Zweifel auch zeitlich nachfolgende Tarifverträge erfassen. Denkbare Möglichkeiten, dies zu vermeiden, sind einvernehmliche Regelungen mit den betreffenden Arbeitnehmern bzw. eine Änderungskündigung. Inwieweit eine Änderungskündigung mit dem Ziel des „Einfrierens des Status Quo“ möglich ist, ist derzeit allerdings noch nicht abschließend geklärt. Auf jeden Fall sollten zur Haftungsvermeidung bei Austritt aus dem Arbeitgeberverband die damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen im Einzelnen geprüft werden.

 

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