"Letter of Rights": Informationsblatt zu Rechten in Strafverfahren

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 12.08.2008

Nach dem Willen des Bundesjustizministeriums sollen Verdächtige und Beschuldigte künftig europaweit spätestens bei ihrer Festnahme ein einheitliches Informationsblatt ("Letters of Rights") erhalten, das sie über ihre Rechte in Strafverfahren aufklärt.

Der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) begrüßt diese Initiative. Seiner Meinung nach müsse das Informationsblatt über den konkreten Tatvorwurf aufklären. Auch müsse darauf hingewiesen werden, dass aus dem Schweigen keinerlei der verhafteten Person nachteilige Schlüsse gezogen werden dürften. Das Blatt müsse auch über die Bedeutung einer Aussage für das weitere Verfahren informieren sowie über die Möglichkeit, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen sowie einen anwaltlichen Notdienst einzuschalten.  Zudem müsse auf ärztliche Hilfe hingewiesen werden. Ausländer seien darüber zu informieren, dass sie - für Gespräche mit einem Rechtsbeistand - einen Dolmetscher hinzuziehen dürfen und das Recht hätten, die konsularische Vertretung zu benachrichtigen.

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12 Kommentare

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Ohne Konsequenzen genauso wertlos wie dasjenige, das das Gesetz bereits jetzt fordert: Insoweit sind solche Kampagnen das Eingeständnis fehlender Rechtsstaatlichkeit in den jetztigen Ermittlungsverfahren - ansonsten wären "Verbesserungen" unnötig.

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Es sollte auch eine Version für Polizisten geben, damit sie sich bei Verhaftungen an die Regeln halten.

1: "Eine Haftbefehl alleine bedeutet keine Schuld";
2: "Der Verhaftete Kunde hat das Recht zu schweigen";
3: "Der Verhaftete hat das Recht auf einen Anwalt, es ist unzulässig ihn zu beeinflussen, auf dieses Recht zu verzichten".

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So negativ wie Herr Rechtsanwalt Langhans sehe ich die Initiative nicht.

In der Sache geht es um die Umsetzung der im "Grünbuch über Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union" vom 19.2.2003 enthaltenen Maßnahmen, die u.a. die Information der Betroffenen über ihre Rechte vorsehen. Mit den Grünbuch-Maßnahmen sollen weder neue Rechte entstehen noch der Umfang des Schutzes, den die Mitgliedstaaten derzeit anbieten, reduziert werden. Vielmehr sollen die bestehenden Rechte besser sichtbar und leichter umsetzbar gemacht werden.

Die Belehrungspflicht aus Art. 36 WÜK war vielen bis vor kurzem unbekannt. Dass der Verstoß hiergegen Rechtsfolgen haben kann, stellt
Prof. Dr. Robert Esser JR 2008, 271 ausführlich dar.

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Ich räume ja ein, dass ich etwas provokant formuliert habe. Jede Maßnahme, die der Verbesserung von Rechtsstaatlichkeit dient ist insoweit zu begrüßen.

Nur wenn man eben keine Negativfolge bei Versäumnissen feststehen hat, fehlt die polizeiliche bzw. staatsanwaltliche Motivation für eine konsequente Umsetzung und damit geht die Maßnahme leider fehl.

Und als Anwalt darf ich dann beraten und sagen, dass mein Mandant zwar widerrechtlich behandelt wurde, dass er es sich gleichzeitig aber leisten können muss, sich dagegen zu wehren. Gerade bei Kleinkriminalität ein erheblicher Faktor, der bei dem von Herrn VRiOLG v. Heintschel-Heinegg freundlicherweise verlinkten Artikel nicht beseitigt wird: Kein Beweisverwertungsverbot, dafür Kompensation, die aber wiederum ein Verfahren fordert bei erheblichen finanziellen Risiken.

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Langhans,

die provokante Formulierung habe ich sehr wohl bemerkt. Vielleicht wollten Sie sogar damit eine breitere Diskussion in Gang bringen; hierfür ist der Blog ja da. Mal sehen!

In der Sache sind wir uns einig! Dass die "Konsequenzen" Schritt für Schritt mühsam "erkämpft" werden müssen, zeigt gerade die Entwicklung der Rechtsprechung zu Art. 36 WÜK. Wenn auch langsam, so geht es doch voran. Sollte ich als Betroffener wer weiß wo mit der Polizei zu tun bekommen, wäre ich froh, wenn das Informationsblatt dort bekannt wäre und ich u.a. bald konsularischen Beistand bekäme.

Mit freundlichen Grüssen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Diese Maßnahme ist absolut zu begrüßen. Zu hoffen ist, dass auch Strafverfolgungsorgane "besonderer Art" wie etwa die Zollbehörden davon ebenfalls Gebrauch machen. Manche Formulare sind vom Beschuldigten so zu verstehen, dass sie im Falle des Nichterscheinens bei der anberaumten Beschuldigtenvernehmung sämtliche Verfahrens- und Einlassungsrechte verlieren würden. Das Beifügen eines solchen Formblattes würde dort die Wiederherstellung strafprozessualer Beschuldigtenrechte bedeuten.

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Die Aushändigung eines „letter of rights“, der die wesentlichen Rechte des Beschuldigten aufführt, ist sicherlich sinnvoll, wobei auch der nicht verhaftete Beschuldigte durchaus schutzwürdig ist. Man denke etwa an die Drucksituation bei einer Durchsuchung, wo sich viele Beschuldigte um „Kopf und Kragen“ reden. Ob sie dann in der Lage sind, ein kompliziertes Schriftstück zu verstehen, ist natürlich eine ganz andere Frage.
Bei einem einheitlichen europäischen „letter of rights“ besteht allerdings die Gefahr, dass dort nur der europäische Minimalkonsens an Verfahrensrechten aufführt werden soll. Der geplante Rahmenbeschluss garantiert namentlich den Zugang zum Verteidiger, die kostenlose Inanspruchnahme eines Dolmetschers, den Schutz für besonders hilfsbedürftige Personen, die aufgrund ihres Alters, ihrer mentalen, physischen oder emotionalen Verfassung das Verfahren nicht verstehen oder diesem nicht folgen können, und das Recht nach Art. 36 WÜK. Ein entsprechender Entwurf, der nur diese Rechte aufführt, findet sich im maßgeblichen EU-Dokument. http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/com/2004/com2004_032...
Ein "letter of rights" nach diesem Vorbild würde m.E. eher zur Verwirrung des Beschuldigten beitragen als zu seiner sachgerechten Aufklärung. Das wohl wichtigste Recht, nämlich die Selbstbelastungsfreiheit (einschließlich der Tatsache, dass dem Beschuldigten in Deutschland – anders als etwa in England – durch Schweigen keine Nachteile drohen) fehlt schließlich. Auch eine gesonderte Aufführung als „zusätzliches nationales Recht“ kann fälschlicherweise den Eindruck erwecken, das Schweigerecht sei nicht so wichtig.

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Sehr geehrter Herr Akademischer Rat Dr. Schuster,

Ihren interessanten Beitrag habe ich deshalb mit großem Interesse gelesen, weil er Gesichtspunkte aufzeigt, die mir so noch nicht ausreichend bewusst waren! Für mich steht außer Frage, dass auf die "zusätzlichen nationalen" Rechte hinzuweisen ist - und zwar in einer Weise, die nicht verirrt. Ein Problem steckt dahinter allemal.

Sehr dankbar bin ich Ihnen auch für den passenden Link.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd von Heintschel-Heinegg

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Sehr geehrter Professor v. Heintschel-Heinegg,

vielen Dank, dass Sie meine Bedenken insofern teilen. In der Tat ist es so, dass der genannte Entwurf einerseits ausgesprochen detailverliebt ist und andererseits den nemo-tenetur-Grundsatz bewusst ausgeklammert (Seite 8, Rn. 25. Dies liegt wohl auch daran, dass sich innerhalb Europas keine Einigung erzielen lässt, ob Schweigen als Schuldindiz gewertet werden darf oder nicht und somit auch keine einheitliche Belehrung formuliert werden kann. Siehe auch Grünbuch zur Unschuldvermutung, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2006:0174:FIN:...).
Die deutsche Position dazu ist klar, das Schweigerecht ist umfassend. Deshalb wird es für den Beschuldigten in Deutschland in aller Regel das beste sein, (vor Akteneinsicht durch einen Verteidiger) keine Einlassung abzugeben. Zwar ist es sicherlich nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden den allzu redseligen Beschuldigten umfassend vor sich selbst zu beschützen. Insbesondere bei einer Verhaftung (aber auch Durchsuchung, Vorladung) wird aber bei vielen der Eindruck entstehen, man müsse der Verhörsperson Rede und Antwort stehen. Zu viele Informationen, welche Rechte einem möglicherweise so alles zustehen („Recht auf besondere Aufmerksamkeit“), können da auch verwirren. Die Belehrung über das Schweigerecht gehört deshalb (wie die über das Recht auf Verteidigerkonsultation) in einem „letter of rights“ ganz nach oben und nicht „unter ferner liefen“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Frank Schuster

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Dass manche Formulare für den Beschuldigten verwirrend sind, kann ich nur unterschreiben (vgl. Beitrag vom Kollegen Dr. Selk). Manche Ladung zur polizeilichen Beschuldigtenvernehmung klingt so, als ob man sofort vorgeführt würde, wenn man nicht kommt (gemeint ist natürlich, dass auch eine Ladung der StA möglich ist und wenn man dann nicht kommt, ggf. auch Zwangsmittel in Betracht kommen). Ein "letter of rights" (warum Englisch? Amtssprache ist deutsch) wäre also theoretisch gut. Verwirren darf er aber auch nicht, in diesem Fall schadet er eher. Deshalb sollte man die Ausführungen von Herrn Dr. Schuster ernst nehmen. Man sollte auch bedenken, dass viele Beschuldigte "Amtsdeutsch" sowieso nicht verstehn. Deshalb sollte der Hinweis vor allem auf das Schweigerecht und auf dass Recht auf Verteidigerkonsulation so klar wie möglich sein.

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