Der Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG - den sollte es eigentlich bei jeder Veräußerung geben (FG Sachsen-Anhalt v. 27.4.2023 – 4 K 1072/20)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 03.04.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|3053 Aufrufe

Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto – nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG sind sie nicht steuerbar. Allerdings gibt es mit § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG eine Regelung, die als Veräußerung im Sinne des Absatzes 1 des § 17 EStG „auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft, die Kapitalherabsetzung, wenn das Kapital zurückgezahlt wird, und die Ausschüttung oder Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagenkonto im Sinne des § 27 des Körperschaftsteuergesetzes“ fingiert. Derartige fingierte Veräußerungen führen zunächst zum Verzehr der Anschaffungskosten (§ 17 Abs. 2a EStG), bevor sie tatsächlich steuerbare Einkünfte aus Gewerbebetrieb induzieren (H 6.2 EStH, „Ausschüttung aus…“; § 14 Abs. 4 Satz 5 KStG, im Kontext von organschaftlichen Mehrabführungen). Für diese „Phase danach“ hat der Gesetzgeber durch Satz 2 des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens angeordnet. Im Ergebnis sind 60 % des die Anschaffungskosten übersteigenden Betrags steuerpflichtig.

Allerdings steht allen Einkommensteuerpflichtigen (§ 50 Abs. 1 Satz 4 EStG enthält keinen Ausschluss) ohne Antragserfordernis und beliebig oft im Leben der Freibetrag des § 17 Abs. 3 EStG von maximal 9.060 EUR zu. In vielen Fällen kommt er aufgrund der Minderung durch § 17 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht zur Anwendung – manchmal aber doch. So wie im Fall des FG Sachsen-Anhalt (Urteil v. 27.4.2023 – 4 K 1072/20, BeckRS 2023, 37267), in dem dem Tatbestand zu entnehmen ist, dass der Steuerpflichtige mit 78,44 % an der „C GmbH“ beteiligt war. Die Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto, die letztendlich seiner Besteuerung zugrunde gelegt wurde, betrug brutto 32.959,40 EUR. Da der Steuerpflichtige seine Anschaffungskosten an der „C GmbH“ bereits zuvor vollständig verzehrt hatte, kam es zu Einkünften nach § 17 Abs. 4 EStG von (60 % x 32.959,40 EUR =) 19.775,64 EUR. Von diesen wollte der Steuerpflichtige den – korrekt berechneten – Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG iHv 7.106,66 EUR abgezogen sehen. Das Finanzamt hingegen folgte der Auffassung der OFD Frankfurt v. 4.2.2014, DStR 2014, 903, wonach im „Falle der Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto gemäß § 17 Abs. 4 EStG ein Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG nicht zu gewähren“ sei, „da keine Gesellschaftsanteile veräußert werden“.

Die herrschende Meinung sieht das anders (Nachweise in Rz. 28 des Urteils) – ebenso wie das FG Berlin-Brandenburg in einem AdV-Verfahren (Beschluss v. 15.7.2008 – 7 V 7083/08, BeckRS 2008, 26025744). Der Wortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 EStG, der von „dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft“ spricht, scheint jedenfalls kein sinnvoller Aufhänger für die Versagung des Freibetrags in Fällen des § 17 Abs. 4 EStG (Rz. 31 des Urteils): Die Fiktion einer Veräußerung aus § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG muss m.E. auch insoweit gelten.

Alles andere wäre wertungswidersprüchlich – insbesondere auch mit Blick auf § 6 AStG, der beim Wegzug des Steuerpflichtigen ebenfalls eine „Veräußerung von Anteilen im Sinne des § 17 Absatz 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes zum gemeinen Wert“ (anteilsbezogen, BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BStBl. II 2017, 1194) fingiert. Warum ist in diesem Fall einer fingierten Veräußerung iSd § 17 EStG auch nach neuerer Ansicht der Finanzverwaltung (BMF 22.12.2023, BeckVerw 632010, Tz. 6.1.5.3.; Brandis/Heuermann/Pohl AStG § 6 Rn. 69) ein Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG zu gewähren? In dem (seltenen) Fall des § 17 Abs. 5 EStG würden sich ebenfalls derartige Fragen stellen…

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