Verbindliche Auskunft für einen Dauersachverhalt - ist darauf Verlass? (FG Baden-Württemberg vom 24.07.2023 - 1 K 1520/21)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 14.03.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2654 Aufrufe

Verbindliche Auskünfte – für „die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten“ können sie die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern erteilen (§ 89 Abs. 2 Satz 1 AO),

wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht.

Damit sind sie – neben der verbindlichen Zusage (§ 204 AO) und der Anrufungsauskunft zur Lohnsteuer (§ 42e EStG) – wichtige Instrumente für Steuerpflichtige, um im besten Fall Rechtssicherheit bezüglich der Komplexität des Steuerrechts zu erlangen.

Im Gegensatz zu anderen Instrumenten kostet die verbindliche Auskunft jedoch Gebühren (§ 89 Abs. 3 Satz 1 AO), die grundsätzlich nach dem Gegenstandswert zu bemessen sind (§ 89 Abs. 4 Satz 1 AO). Wie viele Anträge auf verbindliche Auskunft vorliegen, hat damit (auch) aus diesem Blickwinkel große Bedeutung. Gerade bei Umwandlungsfällen müssen dann die Finanzgerichte in letzter Zeit häufig das letzte Wort sprechen (FG Münster v. 8.2.2023 – 6 K 1330/20 AO, BeckRS 2023, 5867; FG Berlin-Brandenburg v. 9.6.2022 – 9 K 9084/21, BeckRS 2022, 32546; Rev. BFH II R 39/22; FG Münster v. 26.7.2022 – 13 K 1563/20, BeckRS 2022, 23369; Rev. BFH X R 30/22). Selbst bei Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde (§ 89 Abs. 7 Satz 2 AO) kann es teuer werden (BFH v. 4.5.2022 – I R 46/18, BeckRS 2022, 21036). Wer die Gebühr letztendlich zahlt, darf sie zu allem Überfluss als steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 Nr. 7 AO) nicht ertragsteuerlich abziehen (§ 10 Nr. 2 2. HS KStG; § 4 Abs. 5b EStG; BFH v. 8.12.2021 – I R 24/19, DStR 2022, 1256 Rz. 62).

Was aber, wenn die verbindliche Auskunft materiell rechtswidrig ist? Ihre Bindungswirkung regelt (§ 89 Abs. 2 Satz 5 ff. AO iVm) § 2 StAuskV. Nach dessen Absatz 1 entsteht die Bindungswirkung, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht (Satz 1). Gar keine Bindungswirkung besteht nach dessen Satz 2, wenn die verbindliche Auskunft zuungunsten des Steuerpflichtigen dem geltenden Recht widerspricht. Umgekehrt entfällt die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden (§ 2 Abs. 3 StAuskV).

Die verbindliche Auskunft kann aber auch zugunsten des Steuerpflichtigen materiell rechtswidrig sein (zur Unterscheidung BFH v. 2.9.2009 – I R 20/09, BeckRS 2009, 25015836 Rz. 13). § 2 Abs. 4 StAuskV sieht hier vor, dass eine verbindliche Auskunft „unbeschadet der §§ 129 bis 131 der Abgabenordnung“ mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden kann, wenn sich herausstellt, dass die erteilte Auskunft unrichtig war. Dies war im Urteil des FG Baden-Württemberg vom 24.07.2023 (1 K 1520/21, BeckRS 2023, 36064) eindeutig der Fall – die verbindliche Auskunft hatte die „Segmentierung“ des einheitlichen Gewerbebetriebs einer gewerblich geprägten Personengesellschaft bezüglich der Einkünfteerzielungsabsicht nicht berücksichtigt. An sich gemischte Tätigkeiten sind danach insgesamt zunächst als gewerblich zu behandeln. Erst nach dieser vorrangigen "Färbung" ist für die jeweils verschiedenen, selbständigen Tätigkeitsbereiche das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht zu prüfen. Ertrag und Aufwand, die auf einer privat veranlassten Tätigkeit beruhen, sind steuerrechtlich nicht in die Gewinnermittlung der Personengesellschaft einzubeziehen (H 15.8 Abs. 5 EStH, „Gewinnerzielungsabsicht“; BFH v. 25.6.1996 – VIII R 28/94, BStBl. II 1997, 202). Die Finanzbehörde hatte in ihrer verbindlichen Auskunft auch dauerdefizitäre Betriebe der Klägerin in den einheitlichen Gewerbebetrieb einbezogen und bestätigt, dass nur ein einziger Gewerbebetrieb für Zwecke der Gewerbesteuer vorliege.

Die spätere Ergänzung der rechtswidrigen verbindlichen Auskunft, die hier ua durch eine Betriebsprüfung angestoßen wurde, um den Satz „Dies gilt nicht für dauerdefizitäre Tätigkeiten“ hat das Finanzgericht zwar dem Grunde nach auf Basis des (§ 89 Abs. 2 Satz 5 ff. AO iVm) § 2 Abs. 4 StAuskV gebilligt. Nach dem AEAO zu § 89, Nr. 3.6.6, steht die Aufhebung oder Änderung nach § 2 Abs. 4 StAuskV im Ermessen der Finanzbehörde. Dem Vertrauensschutz wird danach (nur) dadurch Rechnung getragen, dass die Aufhebung oder Änderung nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen darf.

Allerdings fand das Finanzgericht den zeitlichen Abstand zwischen der Ankündigung der Ergänzung der verbindlichen Auskunft (durch Anhörungsschreiben vom 14.06.2019) und der tatsächlichen Umsetzung der Ergänzung (durch Änderungsbescheid vom 16.12.2019, mit „Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2020“) zu kurz: Angesicht der Gesamtumstände hätte das Finanzamt nach Auffassung des Finanzgerichts mindestens ein Jahr ab dem Zugang des Änderungsbescheids bis zur Wirkung der Änderung einräumen müssen. Nur so hätte die Klägerin ausreichend Zeit gehabt, um eine erneute Umstrukturierung zu prüfen und gegebenenfalls bei der Finanzverwaltung eine weitere verbindliche Auskunft für eine solche Planung einzuholen.

Lehrreicher Fall also für alle, die eine verbindliche Auskunft für einen „Dauersachverhalt“ in der Schublade liegen haben!

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