Wirtschaftlich einheitlicher Vorgang jetzt auch bei § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG - BFH v. 6.9.2023 - I R 16/21

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 11.01.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2291 Aufrufe

Fiktionen im Steuerrecht sind regelmäßig schwierig zu handhaben. Die 10 %-Schwelle für die Freistellung von Ausschüttungen im System des Teileinkünfteverfahrens (§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG), die seit dem 1.3.2013 anwendbar ist, hat ihre ganz eigene Fiktion erhalten: „Für Zwecke dieses Absatzes gilt der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt“ (§ 8b Abs. 4 Satz 6 KStG). Rund um die Fiktion sind zahlreiche Fallkonstellationen denkbar, die die Finanzverwaltung bislang nur in ihrer Verfügung der OFD Frankfurt a. M. v. 16.8.2021, DStR 2021, 2468 (teilweise) behandelt hat.

Insbesondere Konstellation Nummer 5 der Verfügung („Keine Beteiligung zu Beginn des Jahres, Hinzuerwerb von 5 % von Veräußerer 1 und Hinzuerwerb von 5 % von Veräußerer 2“) hatte dabei die Gemüter erhitzt. Nach Verwaltungsauffassung ist im Kalenderjahr der beiden Hinzuerwerbe „die Regelung des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG … nicht anzuwenden, da nicht in einem Erwerbsvorgang mindestens 10 % erworben werden“. Daneben stellt sich aufgrund des § 9 Nr. 2a, 7 GewStG iVm § 8 Nr. 5 GewStG eine gewerbesteuerliche Belastung ein, wobei in diesem Fall auf den „Beginn des Erhebungszeitraums“ abzustellen ist, der vom Kalenderjahr abweichen kann (§ 14 Satz 3 GewStG).

Die Parallelen zu anderen Fällen, bei denen wirtschaftlich zusammengehörende Vorgänge auch steuerrechtlich einheitlich betrachtet werden, waren indes deutlich (Weiss, SteuK 2014, 507, 509): Insbesondere der „qualifizierte Anteilstausch“ des § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UmwStG wird auch von Verwaltungsseite so verstanden, dass die nach der Einbringung erforderliche unmittelbare Mehrheit der Stimmrechte an der erworbenen Gesellschaft auf Ebene der „übernehmenden Gesellschaft“ auch durch eine Zusammenfassung von Einbringungen verschiedener Personen möglich ist, wenn diese „auf einem einheitlichen Vorgang beruhen“ (BMF v. 11.11.2011, IV C 2 – S 1978 – b/08/10001, BeckVerw 254520, Rz. 21.09; im Erlassentwurf vom 11.10.2023 durchgehalten). Der BFH hatte sich dieser Auffassung angeschlossen (erster Leitsatz des BFH v. 24.1.2018 – I R 48/15, BeckRS 2018, 13094).

Nun also auch bei § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG: Mit Urteil vom 6.9.2023 (I R 16/21) hat sich der BFH jedenfalls für einen „Blockerwerb“ der Auffassung der Vorinstanz angeschlossen, wonach die in § 8b Abs. 4 Satz 6 des Körperschaftsteuergesetzes angeführte Beteiligungsschwelle (10 % des Grund- oder Stammkapitals) durch einen aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlichen Erwerbsvorgang auch dann erreicht werden kann, wenn an diesem Vorgang mehrere Veräußerer beteiligt sind. Während mithin gewerbesteuerlich weiterhin ein „absolutes Rückwirkungsverbot“ gilt (z.B. BFH v. 16.4.2014 – I R 44/13, BeckRS 2014, 95231; verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden: BFH v. 18.12.2019 – I R 29/17, BeckRS 2019, 47163), kommt bei § 8b Abs. 4 KStG nun „Tauwetter“ auf.

Zu beachten bleiben die Anforderungen, die der BFH an den „wirtschaftlich einheitlichen Erwerbsvorgang“ stellt. Nach § 118 Abs. 2 FGO war er an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden, wonach die Erwerbe im Streitfall zwar von mehreren Veräußerern, aber "aufgrund eines einheitlichen Entschlusses … durch ein einheitliches schuldrechtliches Rechtsgeschäft" vorgenommen worden waren. Die Details, welche Art von „Einheitlichkeit“ erforderlich ist, werden mithin jetzt streitig werden. Keinesfalls können somit jegliche Erwerbe in einem Kalenderjahr für Zwecke des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG zusammengefasst werden, genauso wenig wie beim qualifizierten Anteilstausch.

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