Fehlerhafte Beweiswürdigung - der BGH rüffelt erneut die Vorinstanzen (Eigenbedarfskündigung) (Urt. v. 8.8.2023, VIII ZR 20/23, BeckRS 2023, 24760)

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 31.10.2023

Immer wieder geschieht es, dass Tatgerichte (in Wohnraummietsachen also Amts- und Landgerichte) bei Räumungsprozessen wegen Eigenbedarfskündigungen gravierende Fehler im Rahmen der Beweiswürdigung begehen. Diese stellen regelmäßig zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 II GG (rechtliches Gehör) dar mit der Folge, dass bei mögicher Kausalität des Fehlers auf das Urteil und bei Erreichen der Beschwergrenze von 20.000 Euro der VIII. Zivilsenat des BGH die Entscheidung des Landgerichts kassiert und an eine/die Kammer des Landgerichts zurückverweist.

Im hier zu besprechenden Fall hatte das AG Wolfratshausen mit Urteil vom 13.6.2022 (BeckRS 2022, 51204) die Mieter nach Eigenbedarfskündigung zur Räumung verurteilt, das Landgericht München II mit Urteil vom 13.12.2022 (12 S 2089/22) die Berufung der Mieter zurückgewiesen.  Das Landgericht hatte gemeint, es sei grundsätzlich an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden, Rechtsfehler lägen nicht vor. Die Berufungsbegründung habe "konkrete Anhaltspunkte" für eine fehlerhafte Beweiswürdigung nicht aufzeigen können.

Der BGH hebt das Urteil auf und verweist die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts München zurück, § 563 I 2 ZPO.

Der Senat beanstandet insbesondere, dass sich das Landgericht nicht mit dem Umstand auseinandersetzt, dass die Vermieterin zunächst eine Verkaufsabsicht gehabt und erst danach wegen Eigenbedarfs gekündigt habe. Die Mieter hatten vorgetragen, dass  die Vermieterin nach dem Eigenbedarfsentschluss noch die Duldung der Besichtigung des Hauses zum Zwecke des Verkaufs begehrt hatte, was ein Sohn der Klägerin, von ihr als Zeuge benannt, auch noch bestätigt habe. Widersprüche gab es auch dazu, ob die Klägerin mit den Söhnen über die nach dem Auszug der Mieter dann erfolgende räumliche Aufteilung gesprochen habe oder nicht. Vor allem aber habe das Landgericht einen viel zu engen Maßstab angelegt, wenn dies das Urteil allein auf Rechtsfehler überprüft habe - Folge dessen sei, dass die Tatgerichte diese Widersprüche im Sachverhalt gar nicht berücksichtigt hätten.

Das Urteil des Senats ist zu begrüßen. Zwischen den Zeilen liest man eine leichte Verärgerung über die Beweiswürdigungsfehler heraus - bestätigt dann durch die Zurückweisung an eine andere (!) Kammer des Landgerichts. Das erfolgt im Regelfall dann, wenn der BGH die Fehler der Vorinstanz für so erheblich hält, dass man u.U. der Kammer, die das Urteil verkündete, kaum noch zutraut, eine korrekte und objektive Entscheidung beim "2. Versuch" zu treffen. Die "Höchststrafe", das Niederschlagen der Gerichtskosten gem. § 21 GKG, vom Senat ab und zu auch veranlasst, geschah hier indes nicht.

Sieht man sich zudem das Urteil des AG Wolfratshausen an, so lassen die dortigen Ausführungen besorgen, dass die grundsätzlichen Anforderungen an eine den wissenschaftlichen Grundsätzen der Aussagepsychologie genügende Beweiswürdigung bereits verkannt worden sind. Das Amtsgericht beschreibt die Aussagen der Zeugen als "plausibel", die Zeugen würden einen "glaubwürdigen" Eindruck machen. Es beschränkt sich - sieht man sich die vergleichsweise kurze Beweiswürdigung schon der ersten Instanz an - auf klassische Floskeln, die den Anforderungen an § 286 ZPO bereits nicht genügen und gibt letztlich nur den Inhalt der Aussagen der Zeugen wieder. Das genügt schon im Allgemeinen nicht, erst recht nicht den modernen wissenschaftlichen Anforderungen  (vgl. allg. Kockentiedt/Windau; NJW 2019, 3348;  OLG Rostock, BeckRS 2022, 264; für die Beweisaufnahme bei Eigenbedarf s. LG  Berlin BeckRS 2019, 24117; Selk, NZM 2018, 978; Erman/Selk, BGB 17.Aufl. 2023, § 573 Rn 22 mwN). So jedenfalls wirkt die Beweiswürdigung des Amtsgerichts beliebig und geradezu austauschbar.

Es ist nicht das erste Mal, dass der BGH ein Urteil der 12. Zivilkammer des LG München II aufhebt und die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts München II zurückverweist. Verärgerung springt bereits aus den Zeilen in BGH NZM 2023, 210 (wegen Fehlern im Rahmen des § 574 BGB) heraus.

 

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