Wegzug mehr en vogue denn je

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 19.09.2023
Rechtsgebiete: Verlag|2510 Aufrufe
Prof. Dr. Florian Haase; Buch Haase (Hrsg.), Wegzugsbesteuerung

Im Verlag C.H.BECK ist nunmehr in der „Blauen Reihe“ mit fast 600 Seiten ein umfassendes Handbuch zur in der Praxis sehr wichtigen Wegzugsbesteuerung erschienen. Neun erfahrene Experten aus der Beratungspraxis führen nicht nur durch das Steuerrecht, sondern auch durch die nicht minder wichtigen zivilrechtlichen und sozialrechtlichen Bezüge. Beleuchtet wird dabei nicht nur der Wegzug natürlicher Personen als Gesellschafter von Kapitalgesellschaften, sondern auch der Wegzug von Einzelunternehmern, Gesellschaftern von Personengesellschaften und von Kapitalgesellschaften selbst. Herausgeber Prof. Dr. Florian Haase erläutert aus diesem Anlass die aktuelle Sach- und Rechtslage rund um den Wegzug, der in der Praxis aktueller denn je ist. Die Beratungsgesellschaften hat eine regelrechte Welle an Wegzugsfällen erreicht, die sachlich fundiert abgearbeitet werden muss.

Wegzug in der Gestaltungs- und Abwehrberatung

Entgegen der oft auch in der Presse kolportierten Meinung steht der Wegzug in der Praxis nicht als steuerliches Gestaltungsmittel im Vordergrund. Die Gründe für einen Wegzug sind häufig außersteuerlicher, meist privater Natur. Oder sie sind betrieblich veranlasst, z.B. bei langjährigen Expatriates. Nicht steuerlich vorgebildete Menschen ahnen aber verständlicherweise kaum, wie weitreichend die Wegzugsbesteuerung ist. Hier lässt sich dann im Nachhinein nichts mehr gestalten, sondern man muss argumentativ und rechtlich das Beste aus der Situation machen.

Steuerliche Kernthemen und arrondierende Rechtsbereiche

§ 6 AStG, also die historisch als „Lex Horten“ bekannte und schon über 50 Jahre alte Regelung, ist das Herzstück der sog. Wegzugsbesteuerung. Sie gilt für Gesellschafter von in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften und begegnet uns nunmehr in Gestalt des „neuen“ § 6 AStG idF. des Art. 5 ATAD-Umsetzungsgesetz (ATADUmsG) vom 25.6.2021. Daneben gilt es, je nach Zuzugsstaat, die erweitert beschränkte Steuerpflicht (§ 2 AStG) zu beachten, die ihrerseits auch erbschaftsteuerliche Bezüge aufweist (über § 4 AStG). Bei Gesellschaftern von Personengesellschaften und Einzelunternehmern ist die Lage diffiziler, denn hier gibt es keinen gesonderten Regelungsbereich, sondern man muss auf allgemeine Entstrickungsvorschriften zurückgreifen. Der Wegzug von Kapitalgesellschaften schließlich ist stark unionsrechtlich geprägt, auch stellen sich hier – ebenso wie im Erbschaftsteuerrecht – zahlreiche zivil- und handelsrechtliche Vorfragen. Auch diese Themen muss der Wegzugsberater beherrschen, jedenfalls im Blick haben. Ein Gleiches gilt für die sozialversicherungsrechtlichen Fallstricke sowie die Umkehr des Wegzugs, den Zuzug. Dieser findet nämlich wider Erwarten nicht selten zeitnah und oft ungeplant nach dem Wegzug statt. Auch hier stellen sich steuerliche Fragen, namentlich der (Wieder-)Verstrickung auf persönlicher oder sachlicher Ebene.

Wichtige gesetzliche Änderungen

Das genannte ATADUmsG hat zunächst eine Änderung des zeitlichen Anwendungsbereichs vollzogen. Die Neuregelung sieht eine Verkürzung des Zeitraumes der vor dem Wegzug erforderlichen unbeschränkten Steuerpflicht von zehn auf sieben Jahre vor. Steuerpflichtige sind daher künftig betroffen, wenn sie innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem Wegzug insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren. Zudem wurde die bisherige Unterscheidung der Stundungskonzepte je nach Zuzugsstaat aufgegeben. Künftig ist die Wegzugssteuer stets, d.h. in allen EU-/EWR- oder Drittlandsfällen, unmittelbar fällig oder kann maximal auf Antrag des Steuerpflichtigen in sieben gleichen (unverzinslichen) Jahresraten entrichtet werden, im Regelfall nur gegen Sicherheitsleistung. Eine dauerhafte Stundung der Steuer wird nicht mehr möglich sein, was noch einmal den steuerlichen worst case der Wegzugsbesteuerung betont: Besteuerung ohne Liquidität (sog. dry income). Positiv ist hingegen zu bewerten, dass der Zeitraum, in dem die Wegzugsbesteuerung durch eine Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland nachträglich entfallen kann, auf sieben Jahre erweitert wird.

Auch Rechtsprechung und Verwaltung nicht untätig

Urteile zum AStG und auch zur Wegzugsbesteuerung sind selten. Für umso mehr Aufsehen hat das BFH-Urteil vom 21.12.2022 – I R 55/19 gesorgt. Das zum Entfallen der Wegzugsbesteuerung führende Tatbestandsmerkmal der „nur vorübergehenden Abwesenheit“ in § 6 Abs. 3 AStG aF ist danach unabhängig von einer Rückkehrabsicht des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Wegzugs erfüllt, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens von fünf (nach ATADUmsG: sieben) Jahren nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird (entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung im „alten“ BMF-Schreiben vom 14.5.2004). Nachdem es also ein „altes“ Anwendungsschreiben gibt, wird es aber bald auch ein „neues“ geben. Am 20.7.2023 hat das BMF den Entwurf eines neugefassten Anwendungserlasses zum Außensteuergesetz (AEAStG) veröffentlicht, der sich noch in der Abstimmung befindet. Der Entwurf nimmt zwar das genannte BFH-Urteil zwar im Grundsatz zustimmend auf, gibt aber auch Anlass zur Kritik. Die Rückkehrregelung hat nach wie vor konzeptionelle Schwächen, die verwaltungsseitig abgefedert werden sollten. Art und Ausmaß der Sicherheitsleistung sind unbefriedigend und wenig praxistauglich geregelt, und dem so wichtigen Themenkomplex rund um spezielle Vorschriften im Abkommensrecht (z.B. in Fällen eines nachlaufenden deutschen Besteuerungsrechts) widmet der Erlassentwurf nur Allgemeinplätze. Auch die Ausführungen zum Übergang vom alten zum neuen Recht überzeugen nur teilweise und werfen unverhohlen die Problematik der Entstehung einer zweifachen Wegzugsbesteuerung auf.

Perspektiven

Der Gesetzgeber hat sich mit dem ATADUmsG nicht eben auf die Seite des Steuerpflichtigen gestellt. Um jedweden Zweifel an der Unionsrechtskonformität künftig zu beseitigen, werden die EU-Fälle steuerlich künftig genauso unvorteilhaft behandelt wie Drittstaatenfälle. Vor allem der Wegfall der zinslosen Stundung kann in praxi dramatische Auswirkungen haben. Hinzu kommen, gerade nach den „Corona-Jahren“, Bewertungsschwierigkeiten, weil das oftmals angewendete vereinfachte Ertragswertverfahren keine zuverlässigen, jedenfalls aber oft zu hohe Ergebnisse liefert. In der Gesamtbewertung werden Steuerpflichtige künftig „spitz rechnen“ müssen, ob sich der Wegzug „unterm Strich“ lohnt, selbst wenn er rechtlich erfolgreich umgesetzt werden kann.

Prof. Dr. Florian Haase, M.I.Tax, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, ist Partner im Hamburger Büro von Rödl & Partner.

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